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"Aufrechnungsfalle" für Vermieter?

BGH, Urteil vom 10.7.2024 – VIII ZR 184/23, NZM 2024, 751

Sachverhalt

M mietete bis Ende November 2023 eine Wohnung des V. Im Rahmen des Mietvertrages vereinbarten M und V eine Barkaution [1]Anmerkung: „Bar“ meint hier nicht zwingend Bargeld, sondern i.S.e. unmittelbaren Verfügbarmachung von Geld als liquides Mittel, z.B. durch Überweisung. Ansonsten könnte die Sicherheit z.B. … Continue reading in Höhe von 1.000 €, die M damals vereinbarungsgemäß zum Mietbeginn erbrachte.

Wenige Monate vor dem Auszug beschädigte M die Wohnung, wodurch behebbare Schäden in Höhe von 1.500 € entstanden, die bis zum Auszug nicht beseitigt wurden.

Zum Mietende zog M aus der Wohnung aus, V nahm sie wieder in Besitz.

Im Juni 2024 setzte V ein Schreiben an M auf, mit dem er über die Mietkaution abrechnete. V erklärte, er rechne mit einem Anspruch wegen Beschädigung der Mietsache in Höhe von 1.500 € auf, sodass von der Kaution nichts mehr übrig bleibe.

M wendet hiergegen Verjährung ein. Er ist der Auffassung, ihm stehe ein Anspruch auf Rückzahlung der Kaution in voller Höhe zu.

Trifft die Ansicht des M zu?


Skizze


Gutachten

A. Anspruch M gegen V

M könnte gegen V einen Anspruch auf Rückzahlung der Barkaution in Höhe von 1.000 € aus der Kautionsabrede i.V.m. § 311 I BGB haben.

I. Entstehen des Rückzahlungsanspruchs

Dafür müsste zwischen M und V zunächst überhaupt eine entsprechende Vereinbarung getroffen worden sein.

Eine Barkautionsvereinbarung (§ 551 BGB) kann – wie hier – ausdrücklich im Rahmen des Mietvertrages vereinbart werden. Genauso kann aber auch bereits aus der Hingabe der Mietkaution konkludent auf eine zugrunde liegende Sicherungsabrede gefolgert werden.[2] BGH NZM 2024, 751 Rn. 18. Mangels Kenntnis eines genaueren Wortlauts der Vereinbarung, macht dies für die Voraussetzungen des Rückzahlungsanspruchs vorliegend keinen Unterschied.

Voraussetzung des Kautionsrückzahlungsanspruch ist zum einen, dass das Mietverhältnis beendet und zum anderen eine angemessene Prüf- und Abrechnungsfrist abgelaufen ist, sodass der Vermieter die Kaution nicht mehr zur Sicherung seiner Ansprüche benötigt.[3]BGH NZM 2024, 751 Rn. 18; BGH NJW 2006, 1422 Rn. 8. Der Vermieter soll damit Gelegenheit erhalten, zu prüfen, ob ihm Ansprüche gegen den Mieter zustehen und soll sich so auf einfache Weise, nämlich durch Aufrechnung gegen den Kautionsrückzahlungsanspruch, befriedigen können.[4]BGH NZM 2024, 751 Rn. 18 m.w.N.

Mit Ablauf der Frist (sog. Abrechnungsreife) wird der Anspruch fällig. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Vermieter dem Mieter ein Abrechnungsschreiben zukommen lässt.[5]BGH NZM 2024, 751 Rn. 37. [6]Anmerkung: Einen guten Überblick zur Mietkaution gibt der Grüneberg in der Einleitung zu § 535 BGB und § 551 BGB sowie Theesfeld in NJ 2011, 502 (über beck-online).

Hier ist das Mietverhältnis zwischen M und V beendet. V ließ dem M ein Abrechnungsschreiben zukommen, sodass Abrechnungsreife eingetreten und der Kautionsrückzahlungsanspruch nicht nur dem Grunde nach entstanden ist sondern fällig wurde.

II. Erlöschen in Folge der Aufrechnung

Der Anspruch des M könnte indes aufgrund der Aufrechnung des V gem. § 389 BGB erloschen sein.

Dies erfordert neben einer entsprechenden Aufrechnungserklärung das Bestehen einer Aufrechnungslage.

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Die Aufrechnung ist ein Gestaltungsrecht. Auch Anfechtung, Rücktritt oder Widerruf sind Gestaltungsrechte. Statt von einer Aufrechnungslage spricht man dort von z.B. von einem Anfechtungsgrund.

Alle Gestaltungsrechte bedürfen zu ihrer Ausübung einer Erklärung. Sie sind bedingungsfeindlich. Für die Aufrechnung ist dies ausdrücklich in § 388 S. 2 BGB normiert, wenngleich für andere Gestaltungsrechte trotz fehlender Normierung nichts anderes gilt.

Überhaupt nicht normiert sind hingegen die Ausnahmen von der Bedingungsfeindlichkeit: Zum einen wird bei sog. Potestativbedingungen eine Ausnahme gemacht. Dies sind echte Bedingungen i.S.d. § 158 BGB, bei denen der Eintritt der Bedingung vom Verhalten des Erklärungsgegners abhängt. Er wird daher keiner Rechtsunsicherheit ausgesetzt (genau davor soll der Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit schützen), sodass er keines Schutzes bedarf.

Zum anderen wird bei Rechtsbedingungen eine Ausnahme gemacht, denn bei ihnen handelt es sich gerade nicht um Bedingungen i.S.d. § 158 BGB. Auf objektiver Ebene tritt bei ihnen gar keine Rechtsunsicherheit ein, sodass zumindest abstrakt keine Schwebelage entsteht und der Erklärungsgegner ebenso wenig eines Schutzes bedarf.[7]Weitere Fälle bei BeckOK BGB/Dennhardt BGB § 388 Rn. 5

Ein besonderer Fall ist die Prozessaufrechnung. Dies meint eine Aufrechnung, die innerhalb eines Prozesses erklärt wird, wobei sich der Beklagte primär bereits gegen das Bestehen der Hauptforderung wendet und sich nur hilfsweise, also unter der Bedingung, dass das Gericht vom Bestehen der Hauptforderung ausgeht, mit seiner Gegenforderung verteidigt. Auch hier handelt es sich um eine zulässige innerprozessuale Bedingung, die gerade keine Rechtsunsicherheit erzeugt.

1. Aufrechnungserklärung

V müsste die Aufrechnung gegenüber M gem. § 388 S. 1 BGB erklärt haben. Dies bedarf keiner ausdrücklichen Erklärung und kann vielmehr konkludent erfolgen, soweit sich der entsprechende Wille des Erklärenden aus den Umständen eindeutig ergibt.[8]BeckOK BGB/Dennhardt BGB § 388 Rn. 2.

Vorliegend erklärte V explizit aufrechnen zu wollen. Demnach ist die erforderliche Aufrechnungserklärung gegeben.

2. Aufrechnungslage

Es müsste jedoch auch eine entsprechende Aufrechnungslage zwischen M und V bestanden haben.

a) Erfüllbare Hauptforderung

V müsste sich einer erfüllbaren Hauptforderung gegenübersehen. Die Hauptforderung (auch Passivforderung genannt) ist die Forderung des Aufrechnungsgegners gegen die aufgerechnet wird. Sie muss noch nicht fällig sein, vielmehr genügt die Erfüllbarkeit. Der Schuldner (Aufrechnender) muss also lediglich in zeitlicher Hinsicht befugt sein, sie bereits zu erfüllen. Den Grundsatz hierzu regelt § 271 BGB, der eine sofortigen Erfüllbarkeit anordnet.

Von dieser ist auch bei dem in Rede stehenden Kautionsrückzahlungsanspruch des M auszugehen. Mithin liegt eine erfüllbare Hauptforderung vor.

b) Fällige und durchsetzbare Gegenforderung

Des Weiteren müsste V seinerseits eine fällige und durchsetzbare Gegenforderung (auch Aktivforderung genannt) gegen M zustehen.

aa) Anspruch wegen Beschädigung der Mietsache

Eine solche Forderung des V könnte sich aus §§ 280 I, 241 II BGB in Höhe von 1.500 € aufgrund der Beschädigungen der Mietsache ergeben.

Anmerkung: Prüfungsreihenfolge
Kurz erwähnt werden sollte, dass es zumindest in der Vergangenheit umstritten war, ob es sich bei dem vertraglichen Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung der Mietsache um einen Schadensersatzanspruch neben oder statt der Leistung (der damit nur unter den Voraussetzungen der §§ 280 I, III, 281 ff. BGB bestünde) handelt.

Für den Weg über § 281 BGB wird im Wesentlichen angeführt, dass § 546 I BGB auch eine Leistungspflicht des Mieters zur Rückgabe der Mietsache im vertragsgemäßen Zustand zum Inhalt habe und somit eine auf Wiederherstellung eines ordnungsgemäßen Zustands lautende Beseitigungspflicht begründe.[9]Diese Ansicht m.w.N. referierend BGH NJW 2018, 1746 Rn. 11.

Der BGH ordnet den Anspruch hingegen als Schadensersatz neben der Leistung ein. Er verweist dazu auf das betroffene nicht leistungsbezogene Integritätsinteresse, weshalb der Vermieter unmittelbar Wiederherstellung bzw. Geldersatz hierfür beanspruchen können müsse. § 546 I BGB hingegen enthält keine Regelung darüber, in welchem Zustand die Wohnung zurückzugeben ist.[10]Ausführlich hierzu BGH NJW 2018, 1746 Rn. 19 ff.

Im Gutachten sollte dieser Streit idealerweise kurz aufgeworfen werden, entweder hier an dieser Stelle oder später z.B. im Rahmen der Pflichtverletzung oder der Frage nach einer möglicherweise erforderlichen Fristsetzung.

(1) Schuldverhältnis

Mit dem Mietvertrag i.S.d. § 535 BGB liegt zwischen V und M ein Schuldverhältnis i.S.d. § 280 I BGB vor.

(2) Pflichtverletzung

M müsste eine entsprechende Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt haben. Gem. § 241 II BGB verpflichtet das Schuldverhältnis den anderen Teil auch zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils. Dies beinhaltet insbesondere auch die Pflicht des Mieters, eine im Eigentum des Vermieters stehende ihm überlassene Mietsache nicht in der Substanz zu schädigen, soweit es sich nicht um vertragsgemäßen Gebrauch handelt (vgl. § 538 BGB).

Hier beschädigte M die Wohnung und verletzte damit V in seinem Eigentumsrecht. Eine Pflichtverletzung liegt dementsprechend vor.

(3) Vertretenmüssen

Dies müsste M auch zu vertreten haben, wovon in Ermangelung gegenläufiger Anhaltspunkte gem. § 280 I 2 BGB auszugehen ist.

Anmerkung: Prüfungsreihenfolge
Sollten sich aus dem Sachverhalt Details zur Pflichtverletzung, insbesondere in Bezug auf ein Verschulden ergeben, wäre neben dem vertraglichen Schadensersatzanspruch auch an einen deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 823 I BGB zu denken.

Dieser sollte nach dem vertraglichen Schadensersatzanspruch kurz angesprochen werden, um zu zeigen, dass dieser erkannt wurde.

(4) Schaden

In der Folge hat M gem. § 249 I BGB dem V den Zustand der Wohnung herzustellen, der bestehen würde, wenn er sie nicht beschädigt hätte (Naturalrestitution). Stattdessen kann V aber auch den dazu erforderlichen Geldbetrag, also 1.500 €, verlangen (§ 249 II 1 BGB).

(5) Zwischenergebnis

V steht gegen M also ein Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung der Mietsache als Gegenforderung zu.

bb) Fälligkeit

Der Schadensersatzanspruch ist mit Eintritt des Schadens sofort fällig, § 271 I BGB.

cc) Durchsetzbarkeit

Fraglich erscheint aber, ob die Gegenforderung auch durchsetzbar ist. Gem. § 390 BGB kann eine Forderung, der eine Einrede entgegensteht, nicht aufgerechnet werden. Dabei genügt zum Ausschluss der Aufrechnung bereits das Vorliegen der Voraussetzungen der Einrede, ohne dass es einer Erhebung der Einrede bedarf.[11]BeckOK BGB/Dennhardt BGB § 390 Rn. 4 m.w.N.

Eine solche Einrede könnte sich hier aus Verjährung gem. § 214 I BGB ergeben. Abweichend von § 195 BGB beträgt die Verjährungsfrist für Ersatzansprüche des Vermieters u.a. wegen Verschlechterungen der Mietsache gem. § 548 I 1 BGB lediglich sechs Monate, wobei die Verjährung abweichend von § 199 BGB gem. § 548 I 2 BGB auch bereits mit Zurückerhalten der Mietsache beginnt.[12]BGH NZM 2024, 751 Rn. 21.

Damit begann die Frist jedenfalls mit Beginn des Dezembers zu laufen und endete mit Ablauf des Mais 2024. Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung im Juni kann die Forderung demnach nicht mehr als durchsetzbar angesehen werden.

§ 215 Alt. 1 BGB statuiert aber, dass die Aufrechnung dennoch nicht ausgeschlossen ist, wenn der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem sich Haupt- und Gegenforderung erstmals aufrechenbar gegenüber standen.

Zu prüfen ist daher, ob bereits vor Ablauf des Monats Mai, also zu unverjährter Zeit, eine Aufrechnungslage i.S.d. § 387 BGB bestand.

(1) Erfüllbare Hauptforderung

Hinsichtlich der Hauptforderung ergeben sich dabei keine Besonderheiten. Insbesondere steht es dem Vermieter frei, den Anspruch auf Kautionsrückzahlung auch frühzeitig zu erfüllen, bevor Abrechnungsreife eingetreten ist und er etwaige Gegenforderungen beziffern kann.

(2) Fällige und durchsetzbare Gegenforderung

Entsprechendes gilt für die Gegenforderung. Diese war sofort fällig und bis zum Ablauf des Mai auch noch durchsetzbar.

(3) Gegenseitigkeit der Forderungen

Die Forderungen bestanden außerdem gegenseitig, denn M und V waren zugleich Gläubiger und Schuldner des jeweils anderen.

(4) Gleichartigkeit der Forderungen

Problematisch erscheint hingegen die Gleichartigkeit der Forderungen. Gleichartigkeit meint, dass beide Forderungen in ihrem tatsächlichen Gegenstand nach gleich und damit austausch- und verrechnungsfähig sind.[13]BeckOK BGB/Dennhardt BGB § 387 Rn. 27; MüKoBGB/Schlüter BGB § 387 Rn. 29. Dies betrifft praktisch fast immer auf Zahlung von Geld gerichtete Forderungen.

Während die Hauptforderung (Kautionsrückzahlungsanspruch) auf Geld gerichtet ist, handelt es sich bei der Gegenforderung des V um einen auf Naturalrestitution gerichteten Schadensersatzanspruch. Dieser ist zunächst nicht auf die Zahlung von Geld gerichtet, sondern auf die Wiederherstellung des Zustands, der bestünde, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre.[14]BGH NZM 2024, 751 Rn. 24 Gem. § 249 II 1 BGB „kann“ V zwar auch stattdessen die Zahlung von Geld verlangen. Es bedarf jedoch eines entsprechenden Willensaktes, der dem M zugehen muss, um von der sog. Ersetzungsbefugnis Gebrauch zu machen.[15]BGH NZM 2024, 751 Rn. 25-27. Dies tat V jedoch erst im Juni, als er sein Abrechnungsschreiben aufsetzte und konkludent erklärte, keine Naturalrestitution zu wollen, sondern Geldzahlung, um mit dieser sogleich aufzurechnen. Insofern müsste bei formaler Betrachtung die Gleichartigkeit verneint werden, womit die Voraussetzungen des § 215 Alt. 1 BGB nicht vorlägen und eine Aufrechnung mit der mittlerweile verjährten Gegenforderung ausschiede.[16]Der Vermieter säße in der sog. Aufrechnungsfalle.

Etwas anderes könnte sich aber aus der Auslegung der zwischen M und V getroffenen Barkautionsabrede ergeben. Aus dieser könnte sich vielmehr ergeben, dass die Möglichkeit des V, sich nach Beendigung des Mietverhältnisses im Rahmen der Kautionsabrechnung hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache durch Aufrechnung befriedigen zu können, nicht an einer fehlenden Ausübung der Ersetzungsbefugnis in unverjährter Zeit scheitern soll.[17]BGH NZM 2024, 751 Rn. 22, 28 ff.

Bei der Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB ist die beiderseitige Interessenlage, welche einem Wohnraummietverhältnis typischerweise zugrunde liegt, zu berücksichtigen. Dabei ist zu erkennen, dass die Barkaution der Sicherung des Vermieters dient, der sich nach Beendigung der Miete auf einfache Weise befriedigen können soll, wobei ihm, wie oben bereits erwähnt, eine angemessene Abrechnungsfrist zusteht. Deren Länge bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls, kann aber sechs Monate durchaus überschreiten.[18]BGH NZM 2024, 751 Rn. 30 m.w.N.

Dies steht im Spannungsverhältnis zur kurzen Verjährung gem. § 548 I 1 BGB, die gerade eine möglichst schnelle Klärung über bestehende Ansprüche bezweckt.[19]BGH NZM 2024, 751 Rn. 31 mit Verweis auf BT-Drs. 14/4553, 45. Ein Vorrang der kurzen Verjährung gegenüber der Kautionsabrechnungsfrist besteht damit aber nicht zwangsläufig.[20]BGH NZM 2024, 751 Rn. 32. Vielmehr erlaubt auch § 215 Alt. 1 BGB die Aufrechnung trotz verjährter Gegenforderung. Dies gilt, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass ein Schuldner, dem ein Gegenanspruch zusteht, sich als hinreichend gesichert ansehen darf. Er soll nicht gezwungen sein, seine Forderung vorschnell durch Klage oder Aufrechnung geltend zu machen. Das gilt insbesondere bei einer in kurzer Frist verjährenden Forderung, der eine in längerer Frist verjährende Gegenforderung gegenübersteht.[21]BGH NZM 2024, 751 Rn. 33.

Überdies soll die Ersetzungsbefugnis den Geschädigten, hier also den V, schützen. Im Wohnraummietverhältnis wird sie ganz regelmäßig vom Vermieter ausgeübt, um, gerade nach Ende des Mietverhältnisses, eine Schadensbeseitigung zeitnah und fachgerecht in eigener Regie durchzuführen.[22]BGH NZM 2024, 751, Rn. 34-36. Damit kann ein Mieter typischerweise erwarten, dass die Ausübung der Ersetzungsbefugnis bei der Kautionsabrechnung zusammen mit der Aufrechnungserklärung erfolgt. Würde hier nun die kurze Verjährung greifen, würde die dem Vermieter zustehende Prüf- und Abrechnungsfrist unterlaufen.[23]BGH NZM 2024, 751 Rn. 37-38. Daran kann umgekehrt auch der Mieter kein Interesse haben, denn dieser ist vor der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen des Vermieters regelmäßig dadurch geschützt, dass dieser sich durch Aufrechnung mit der ihm zu diesem Zweck zur Verfügung gestellten Kaution befriedigen kann.[24]BGH NZM 2024, 751 Rn. 39-40.

Im Übrigen wäre andernfalls stets mit einer rein vorsorglichen Erklärung zur Ersetzungsbefugnis nach § 249 II 1 BGB von Vermieterseite aus zu rechnen, wovon der Mieter keinerlei Vorteil hätte, weil er bis zur Abrechnung des Vermieters über die Kaution ohnehin nicht weiß, ob und in welcher Höhe sich dieser auf Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache berufen wird.[25]BGH NZM 2024, 751 Rn. 41.

Unter Berücksichtigung dieser Interessenlage ist der Anwendungsbereich des § 215 Alt. 1 BGB erweiternd auszulegen und greift zugunsten des V ein.

dd) Zwischenergebnis

Somit lagen zu unverjährter Zeit alle Voraussetzungen einer Aufrechnungslage nach § 387 BGB vor und dem V steht eine taugliche Gegenforderung zu.

c) Gegenseitige, gleichartige Forderungen

Die Forderungen bestehen, wie vorstehend bereits geprüft, nach wie vor wechsel- und damit gegenseitig. Zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung ist auch die Gleichartigkeit unproblematisch, denn mit der Abrechnung macht V dieser unzweideutig von der ihm zustehenden Ersetzungsbefugnis Gebrauch und verlangt Geld i.S.d. § 249 II 1 BGB.

d) Zwischenergebnis

Demnach besteht eine Aufrechnungslage.

3. Kein Ausschluss der Aufrechnung

Schließlich dürfte die Aufrechnung auch nicht ausgeschlossen sein. Vorliegend kommen weder vertragliche noch gesetzliche Ausschlussgründe (§§ 392, 393, 394 BGB, § 829 ZPO) in Betracht.

4. Rechtsfolgen

Damit liegen die Voraussetzung der Aufrechnung vor, weshalb der Kautionsrückzahlungsanspruch des M erloschen ist gem. § 389 BGB.

B. Ergebnis

M steht kein Anspruch auf Rückzahlung der Kaution in Höhe von 1.000 € gegen V zu.


Zusatzfragen

Wäre das Ergebnis anders, wenn V nicht mit einem Schadensersatzanspruch wegen Beschädigung der Mietsache sondern wegen nicht geleisteter, obwohl mietvertraglich geschuldeter, Schönheitsreparaturen aufgerechnet hätte?

Das musste der BGH hier nicht beantworten. Voraussichtlich aber ja. Der Fall unterscheidet sich von der vorstehenden Konstellation insoweit, als dass es sich beim Schadensersatz aufgrund ausgebliebener Schönheitsreparaturen um einen Schadensersatz statt der Leistung gem. §§ 280 I, III, 281 BGB handelt.[26]BGH NZM 2014, 306 Rn. 17. Auch er verjährt in der kurzen Frist des § 548 I BGB. Er entsteht grundsätzlich erst, wenn der Vermieter dem Mieter eine angemessene Frist gesetzt hat und diese erfolglos verstrichen ist (§ 281 I 1 BGB).

Geht man davon aus, dass der V sich erst im Juni bei M gemeldet hat, fehlt es nicht mehr nur an einer Ausübung der Ersetzungsbefugnis zu unverjährter Zeit, sondern auch an Setzung und Ablauf einer angemessenen Frist i.S.d. § 281 I 1 BGB.

Aber Vorsicht: Oft halten mietvertragliche Schönheitsreparaturklauseln einer AGB-Kontrolle ohnehin nicht stand und sind unwirksam. Dann läge im Unterlassen der Schönheitsreparaturen bereits keine Pflichtverletzung.


Zusammenfassung

Eine von den Parteien im Wohnraummietvertrag getroffene Barkautionsabrede ist typischerweise dahingehend auszulegen, dass die Möglichkeit des Vermieters, sich nach Beendigung des Mietverhältnisses im Rahmen der Kautionsabrechnung hinsichtlich etwaiger Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung der Mietsache gemäß §§ 535, 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 823 Abs. 1 BGB durch Aufrechnung befriedigen zu können, nicht an einer fehlenden Ausübung der ihm nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehenden Ersetzungsbefugnis in unverjährter Zeit scheitern soll.


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