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Aufheulende Motoren und ein versuchter Ehrenmord

BGH, Urteil vom 20.6.2024 – 4 StR 15/24, NStZ 2025, 98 

Sachverhalt

(leicht abgewandelt und gekürzt)

A und das soziale Umfeld seiner Familie erfuhren 2022 von einem außerehelichen Verhältnis seiner Mutter zu O. Er sah durch die damit verbundene Herabwürdigung seines Vaters seine Familienehre beschädigt und war über O sehr verärgert. Ende 2022 teilte A ihm mit, O solle keine Mitglieder seiner Familie mehr belästigen, anderenfalls würde es „schlimm“ für ihn werden. Einige Tage später war A abends mit seinem Auto auf dem Heimweg und bemerkte O, der in Fahrtrichtung des A auf dem Fußweg ging. A fuhr an O vorbei, stoppte dann und setzte auf der Fahrbahn zurück. O sah den Wagen, ging davon aus, der Fahrer sei auf der Suche nach einem Parkplatz, und setzte seinen Fußweg fort. An einer geeigneten Stelle fuhr A in einer S-Kurve auf den dort 4,1-4,7 Meter breiten Gehweg und lenkte sein Fahrzeug sodann in Richtung des O. Er drückte das Gaspedal voll durch und fuhr von hinten auf O zu. O hörte zwar den aufheulenden Motor, drehte sich aber nicht um. Nachdem A über eine Strecke von 21 Metern auf dem Bürgersteig auf eine Geschwindigkeit von ca. 38 km/h beschleunigt hatte, fuhr er ungebremst von hinten in den O hinein. Er beabsichtigte, diesen zu verletzten, und nahm dessen Tod billigend in Kauf. A handelte aus Wut über O, aber auch aus Angst und Verzweiflung, seine Familie werde auseinanderbrechen. Durch den Aufprall erlitt O mehrere Verletzungen. Aufgrund der Enge des Fußwegs kollidierte O zudem mit einigen geparkten Fahrzeugen, an denen ein Sachschaden in Höhe von ca. 12.000 € entstand. Um sich seiner Verantwortung zu entziehen, fuhr A sodann so schnell wie möglich davon.

Wie hat sich A zum Nachteil des P strafbar gemacht?

Bearbeitungshinweis: Körperverletzungsdelikte und die §§ 303, 240, 241, 315ff. StGB sind nicht zu prüfen. Ggf. erforderliche Strafanträge gelten als gestellt.


Skizze

Gutachten

A. Strafbarkeit gemäß §§ 212 I, 211 II Gr. 2 Var. 1, 22, 23 I StGB

A könnte sich wegen versuchten Mordes gemäß §§ 212 I, 211 II Gr. 2 Var. 1, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem er sein Fahrzeug von hinten gegen O steuerte und diesen anfuhr.

0. Vorprüfung

O ist nicht gestorben, sodass der Mord nicht vollendet worden ist. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus dem Verbrechenscharakter des Mordes gem. §§ 12 I, 23 I StGB.

I. Tatbestand

1. Tatentschluss

A müsste einen Tatentschluss gefasst haben, also vorsätzlich in Bezug auf die Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale gehandelt haben.[1]Rengier, StR AT, 16. Aufl. 2024, § 34 Rn. 7.

a) hinsichtlich Totschlags, § 212 StGB

A wusste, dass er O durch das Anfahren von hinten hätte töten können, und nahm den Erfolgseintritt billigend in Kauf. Somit hatte er den Tatentschluss gefasst, einen anderen Menschen zu töten.

b) hinsichtlich Mordmerkmale
aa) Heimtücke

In Betracht kommt ein Tatentschluss bezüglich einer heimtückischen Tötung. Heimtückisch handelt, wer (in feindlicher Willensrichtung) die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt.[2]BGH BeckRS 2024, 2643 Rn. 12 mwN; BGH BeckRS 1989, 31092750. Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen[3]BGH NStZ 2024, 167; BGH NStZ 2006, 167 (169); BGH NJW 1991, 2975 (2976). Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung seiner Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.[4]St.Rspr.; vgl. nur BGH NStZ 2023, 232 (234 Rn. 26 mwN); BGH NStZ 2011, 634. Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat. Denn bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt.[5]BGH NStZ 2020, 348 (348f., Rn. 10 mwN); BGH NStZ 2015, 30 (31).

Im vorliegenden Fall ließe sich überlegen, ob möglicherweise das Ausnutzungsbewusstsein ausgeschlossen sein könnte. Als Indiz ließe sich dafür heranziehen, dass A aufgrund des aufheulenden Motors und dem angeschalteten Licht damit rechnen musste, dass O erkennen würde, dass jemand mit einem Auto auf ihn zufährt. Außerdem fuhr A bereits an O vorbei und setzte dann erst zurück. O hätte hier also aufmerksam auf das ihm möglicherweise bekannte Fahrzeug werden können. 

Allerdings ging. O davon aus, es handelte sich um einen Fahrer auf Parkplatzsuche, und rechnete daher nicht mit einem Angriff auf sich. Außerdem lagen zwischen dem Aufheulen des Motors und der Kollision nur wenige Sekunden, in denen O angesichts der sich plötzlich eintretenden Situation keine Möglichkeit blieb, dem Angriff auszuweichen. Zumal er auf einem Gehweg zwischen Grundstücksbegrenzung und parkenden Fahrzeugen ging. Auch die Strecke von 21 Metern zwischen Beginn des Beschleunigungsvorgangs und Kollision ändern daran nichts. 

Gerade die äußeren Umstände sprechen für ein Ausnutzungsbewusstsein des A, der mit hoher Geschwindigkeit und überfallartig von hinten auf einem Gehweg auf O zufuhr.

bb) Einschränkende Auslegung

Wegen der Weite des Mordtatbestands und der absoluten Strafdrohung werden verschiedene Ansätze insbesondere zur Eingrenzung der Heimtücke vorgeschlagen. 

Nach der Rechtsprechung bedarf es im Wege der restriktiven Auslegung ein Handeln in feindseliger Willensrichtung. Eine feindliche Willensrichtung ist nur dann zu verneinen, wenn die Tötung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Opfers entspricht.[6]BGH NJW 2019, 2413 (2416). A wollte aber nicht zum Wohle von O handeln, sodass auch in Ansehung einer solchen Eingrenzung des Merkmals Heimtücke gegeben ist.

Ein Teil der Lehre verlangt für eine restriktive Auslegung zusätzlich einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch. Ein solches Vertrauensverhältnis erfordert eine persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer, die über das sozial übliche Verhalten hinausgeht.[7]Schönke/Schröder/Eser/Sternburg-Lieben, StGB, 30. Aufl. 2019, § 211 Rn. 26f.; Wie genau das Vertrauen ausgestaltet sein soll ist in der Literatur umstritten: vgl. dafür nur MüKoStGB/Schneider, … Continue reading Heimtücke ist danach insbesondere dann zu verneinen, wenn lediglich das Überraschungsmoment ausgenutzt wird. A nutzte gezielt aus, dass O sich als Fußgänger gegen den Angriff mit dem Auto nicht wehren konnte. Dass O sich nicht wehren konnte, lag allerdings in erster Linie nicht daran, dass er mit keinem Angriff rechnete, sondern vielmehr überrascht war. Dieses Überraschungsmoment wurde hier von A ausgenutzt, weshalb kein besonders verwerflicher Vertrauensbruch gegeben ist.

Die Rechtsfolgenlösungen belassen es bei der Mordstrafbarkeit ohne restriktive Auslegung und suchen Einschränkungen auf der Rechtsfolgenseite, sodass hiernach ebenfalls Heimtücke vorliegen würde.

Die Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, weshalb eine Stellungnahme erforderlich ist.

Für die Ansicht des besonders verwerflichen Vertrauensbruchs spricht, dass ein bloßes Abstellen auf die Ausnutzung des Überraschungsmomentes in feindlicher Willensrichtung nur die Effektivität der Tatbegehung, nicht jedoch eine heimtückespezifische Eigentümlichkeit der Heimlichkeit und Tücke sanktioniert.[8]MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl. 2021, § 211 Rn. 203. Zudem könnte ein bloßes Abstellen auf den Überraschungsmoment in feindlicher Willensrichtung zu einer Ungleichbehandlung zwischen körperlich „starken“ und „schwachen“ Tätern führen, da für letztere ein heimlicher Angriff meist die einzig mögliche Handlungsalternative darstellt.[9]MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl., 2021, § 211 Rn. 203.

Gegen die Ansicht des besonders verwerflichen Vertrauensbruchs spricht, dass der Begriff des „Vertrauens“ keine klaren Grenzen und Konturen aufweist.[10]MüKoStGB/Schneider, 4. Aufl., 2021, § 211 Rn. 205. Zudem stellt die Heimtücke ein objektives Mordmerkmal dar, dessen Begründung in der erhöhten Gefährlichkeit der Tatausführung und nicht in der Verwerflichkeit liegt.[11]Köhne JURA 2009, 748 (752). Außerdem würde das Mordmerkmal der Heimtücke solche Taten nicht erfassen, die zwar besonders heimtückisch sind, aber keinen persönlichen Bezug aufweisen.[12]BGHSt 30, 105 (115f. Nach allen anderen Ansichten ist das Merkmal erfüllt. Daher ist die Ansicht, welche einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch fordert, abzulehnen. Somit wollte A den O heimtückisch töten und hatte diesbezüglich Tatentschluss.

Anmerkung: Weitere Fälle zum Mordmerkmal Heimtücke

Für weitere Fälle mit ausführlicher Ausführung zu weiteren Sonderkonstellationen des Mordmerkmals Heimtücke siehe den Fall Das Leid der Welt sollst du nicht ertragen, Heimtücke eines Erpressten, den heimtückischen Fallensteller und den Fall Hoffnungslos und einsam in der Fremde.

cc) Sonst niedrige Beweggründe

Außerdem könnte A mit sonstigen niedrigen Beweggründen gehandelt haben. Der Täter handelt aus sonst niedrigen Beweggründen, wenn seine Tötungsmotive nach allgemeiner Anschauung verachtenswert sind und auf tiefster Stufe stehen. Dabei kommt es insbesondere auf das Verhältnis zwischen Anlass und Tat, einschließlich der Vorgeschichte an. 

Für niedrige Beweggründe könnte sprechen, dass er aus Hass und Wut gegen O handelte. Auch könnte seine Überzeugung, O habe die Ehre der Familie gekränkt, als Ausdruck eines übersteigerten Ehrgefühls verstanden werden, was im Einzelfall zur Bejahung eines niedrigen Beweggrundes führen kann.[13]Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 211 Rn. 25. A ging es aber auch um die Aufrechterhaltung des Familienfriedens, was ein nicht völlig verachtenswertes Motiv darstellt. Somit handelte er zumindest nicht ausschließlich aus sonst niedrigen Beweggründen.

Anmerkung: Schwerpunktsetzung
Als Auffangmerkmal kann die Prüfung bei vorheriger Annahme eines anderen Mordmerkmal in gebotener Kürze erfolgen.

2. Unmittelbares Ansetzen

A müsste weiterhin unmittelbar zur Tat angesetzt haben (§ 22 StGB). Ein unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht´s los“ überschreitet und objektiv – nach seinem Tatplan – keine wesentlichen Zwischenakte mehr notwendig sind, um zur Tatbestandserfüllung zu führen.[14]Rengier, StR AT, 16. Aufl. 2024, § 34 Rn. 22. Durch das Fahren gegen O hat A unmittelbar zur Tat angesetzt.

II. Rechtswidrigkeit

A handelte rechtswidrig.

III. Schuld

A handelte auch schuldhaft.

IV. Ergebnis

A hat sich wegen versuchten Mordes gemäß §§ 212 I, 211 II Gr. 2 Var. 1, 22, 23 I StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit gemäß § 142 I Nr. 1 StGB

A könnte sich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er nach der Kollision mit O und den geparkten Fahrzeugen davonfuhr.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

Dann müsste A sich nach einem Unfall im öffentlichen Straßenverkehr vom Unfallort entfernt haben, ohne Anwesenden Feststellungen zu seiner Unfallbeteiligung zu ermöglichen.

Zum öffentlichen Straßenverkehr i.S.v. § 142 StGB zählen neben Straßen im engeren Sinne auch Fußwege und sonst öffentlich zugänglicher Verkehrsraum.[15]Fischer/Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 142 Rn. 8. Der örtliche Anwendungsbereich des § 142 StGB ist also nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich das Geschehen auf einem Fußweg abspielte. 

Als Unfall ist jedes mit dem Straßenverkehr ursächliche (zusammenhängende) plötzliche Ereignis zu verstehen, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird.[16]BeckOK StGB/Kudlich, 64. Ed. 1.2.2025, § 142 Rn. 4.

Beim gezielten Zufahren auf O hat A auch die parkenden Autos beschädigt und einen nicht ganz belanglosen Sachschaden in Höhe von 12.000 € verursacht. Das ist ein plötzlich eintretendes Ereignis gewesen und somit ein Unfall. Ob auch die Verletzung des O ein Unfall darstellt, kann daher dahinstehen. 

Vernetztes Lernen: Stellt die vorsätzliche Verletzung von O ein Unfall im Sinne des Para. 142 StGB dar?
Ob vorsätzliches Herbeiführen eines Unfalls auch unter die Definition des Unfalls zu fassen ist, ist umstritten.

Die hM nimmt in Fällen, in denen das Schadensereignis nur durch den Täter vorsätzlich herbeigeführt wird, einen Unfall im Straßenverkehr an. Der Kennzeichnung eines solchen Geschehens als Verkehrsunfall steht nach hM nicht entgegen, dass ein daran Beteiligter es vorsätzlich herbeigeführt hat, wenn nur einem anderen ein von ihm ungewollter Schaden unter Realisierung verkehrstypischer Gefahren entstanden ist. Dann handelt es sich mindestens für diesen anderen um ein ungewolltes, ihn plötzlich von außen her treffendes Ereignis.[17]BGH NJW 1959, 394 (394f.); Rengier, StR BT II, 23. Aufl. 2022, § 46 Rn. 6; Fischer/Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 142 Rn. 13.; differenzierend Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, 30. Aufl. 2019, … Continue reading Hinzutreten muss dann allerdings ein sachlicher Zusammenhang mit den Gefahren des Straßenverkehrs. Hieran fehlt es, wenn das Fahrzeug allein als Tatwerkzeug zu deliktischen Zwecken, d. h. „waffenersatzartig“, und damit gänzlich verkehrsfremd eingesetzt wird und sein Einsatz nicht (zumindest auch) als Fortbewegungsmittel erfolgt.[18]BGH NStZ 2025, 85 (100); BGH NJW 1971, 1960; BGH NJW 2002, 626; Wessels/Hettinger/Engländer StR BT 1, 46. Aufl. 2022, Rn. 1017. 

A nutzte zwar sein Auto zur Fortbewegung, was gegen eine verkehrsfremde Verwendung sprechen könnte. Allerdings spricht das gezielte Zufahren auf O dafür, nach dem äußeren Erscheinungsbild von einer rein deliktischen Planung und einer verkehrsfremden Nutzung des Autos durch A auszugehen. A nutzte hier nur die günstige Gelegenheit der Fortbewegung im Auto aus, um O anzugreifen. Sein primäres Ziel ist jedoch die Tötung bzw. Verletzung von O durch das „Überfahren“. Demnach liegt kein Unfall vor.

Nach einer anderen Ansicht[19]Hartman-Hilter NZV 1995, 340 (342f.); Dünnebier GA 1957, 42; Roxin NJW 1969, 2038f. sei ein Vorsatzschädiger im Straßenverkehr nicht vom Wortlaut und dem Schutzzweck des § 142 StGB umfasst. In vorsätzlich herbeigeführten Schädigungen im Straßenverkehr realisiere sich nur das allgemeine Lebensrisiko, Opfer einer Straftat zu werden, nicht aber das verkehrstypische Unfallrisiko. A wollte hier den O vorsätzlich schädigen. Demnach läge auch hier kein Unfall vor. 

Nach beiden Ansichten liegt kein Unfall vor. Die Tat ist nach anderen §§ zu bestrafen.

Für die Frage, ob es sich bei A um einen Unfallbeteiligten handelte, findet sich eine Legaldefinition in § 142 V StGB. A verursachte durch sein Fahrverhalten die Kollisionen mit O und den Fahrzeugen und war somit Unfallbeteiligter i.S. dieser Norm.

A ist nach dem Kollisionsgeschehen weggefahren. Damit hat er zugleich verhindert, dass andere Anwesende Feststellungen zu seiner Unfallverantwortlichkeit treffen konnten. Er hat sich somit unerlaubt vom Unfallort entfernt.

2. Subjektiver Tatbestand

A kannte die Umstände, aus denen sich die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen ergaben, und er wollte sofort nach dem Geschehen wegfahren. Somit handelte er vorsätzlich.

II. Rechtswidrigkeit

A handelte rechtswidrig.

III. Schuld

A handelte auch schuldhaft.

IV. Ergebnis

A hat sich wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 I Nr. 1 StGB strafbar gemacht.

C. Gesamtergebnis und Konkurrenzen

Da der Unfall eine Zäsur bildete, besteht Handlungsmehrheit zwischen dem Angriff gegen O und dem anschließenden Wegfahren. Dabei hat A unterschiedliche Rechtsgüter angegriffen, sodass er sich wegen versuchten Mordes und unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tatmehrheit (§ 53 StGB) strafbar gemacht hat.


Zusatzfragen

1. Unter welchen Umständen kann ein Wiederaufnahmeverfahren angestrengt werden?
In bestimmten Ausnahmefällen kann die Rechtskraft eines Urteils durch ein Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO durchbrochen werden. Dies stellt eine Ausnahme vom Grundsatz ne bis in idem dar, der in Art. 103 III GG verankert ist und eine doppelte Bestrafung oder erneute Strafverfolgung wegen derselben Tat untersagt.

Besonders deutlich wird hier die Ambivalenz der Strafprozessordnung: Art. 103 III GG löst den Konflikt zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit zugunsten der Rechtssicherheit auf. Gesetzlich wurde somit festgelegt, dass nach rechtskräftigem Abschluss eines Strafverfahrens das Ziel der materiellen Gerechtigkeit auch dann nicht vorrangig wird, wenn neue Beweismittel auftauchen. Der Beschuldigte ist verpflichtet, sich dem Strafverfahren zu stellen – selbst wenn er zu Unrecht verdächtigt wird –, jedoch nur ein einziges Mal.

Nach jahrelanger Diskussion wurde schließlich die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des Verurteilten eingeführt, sofern neue Tatsachen oder Beweise bei unverjährbaren Straftaten (wie Mord gemäß § 211 StGB oder Verbrechen mit lebenslanger Freiheitsstrafe nach dem VStGB) vorliegen. Diese Neuregelung des § 362 StPO kehrt das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis der Norm um: Während die bisherigen Wiederaufnahmegründe schwerwiegende rechtsstaatliche Mängel im Gerichtsverfahren oder die eigene Verantwortlichkeit des Freigesprochenen voraussetzten, stellt die Wiederaufnahme aufgrund neuer Beweise oder Tatsachen eine qualitativ weitreichendere Änderung dar.

2. Das Bundesverfassungsgericht hat den Para. 362 Nr. 5 StPO für verfassungswidrig erklärt. Warum und gegen welche Grundsätze verstößt die Norm?
Das Bundesverfassungsgericht hat den § 362 Nr. 5 StPO für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Diese Entscheidung wird mit dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG (Verbot der Doppelbestrafung, ne bis in idem) und gegen das Rückwirkungsverbot aus Art. 103 Abs. 3 iVm Art. 20 Abs. 3 GG begründet.
Zum einen gelte Art. 103 Abs. 3 GG absolut und sei abwägungsfest. Es enthalte kein bloßes Mehrfachbestrafungsverbot, sondern ein Mehrfahrverfolgungsverbot, das Verurteilte wie Freigesprochene gleichermaßen schützt. Soweit die Wiederaufnahmemöglichkeit auch Altfälle betraf, sei zum anderen das Vertrauen des Freigesprochenen auf den Bestand des Freispruchs schützenswert und werde vorliegend auch nicht durch zwingende Gründe des Gemeinwohls überlagert.[20]Zu den vollständigen Entscheidungsgründen siehe BVerfG NJW 2023, 3698; Krit. dazu Kusche, NSW 2024, 319 (321).
3. Was versteht man unter dem Grundsatz ne bis in idem?
Der Grundsatz „ne bis in idem“ besagt, dass niemand wegen derselben Tat zweimal strafrechtlich verfolgt oder bestraft werden darf. In Deutschland ist er in Art. 103 III GG verankert, der ausdrücklich festlegt, dass niemand aufgrund der allgemeinen Strafgesetze mehrfach bestraft werden darf. Dieses Prinzip schützt die Rechtskraft von Urteilen und stellt sicher, dass eine strafrechtliche Entscheidung endgültig ist. Ein abgeschlossenes Verfahren darf grundsätzlich nicht erneut aufgerollt werden, selbst wenn später neue Beweise auftauchen. Dadurch wird das Vertrauen in die Rechtssicherheit gestärkt und verhindert, dass eine Person dauerhaft dem Strafverfolgungsdruck ausgesetzt ist. Eine Wiederaufnahme eines Verfahrens ist nur in engen Ausnahmefällen zulässig. Auch auf europäischer Ebene ist dieser Grundsatz durch Art. 50 der EU-Grundrechtecharta geschützt.

Zusammenfassung

1. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zu dessen Tötung ausnutzt. Arglos ist das Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs nicht mit einem gegen sein Leben oder seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet. Ohne Bedeutung ist dabei, ob das Opfer die Gefährlichkeit des drohenden Angriffs in ihrer vollen Tragweite überblickt. Das Opfer kann auch dann arglos sein, wenn der Täter ihm offen feindselig entgegentritt, die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff aber so kurz ist, dass keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff irgendwie zu begegnen. 

2. Für das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit genügt es, dass der Täter diese in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen. Das Ausnutzungsbewusstsein kann bereits aus dem objektiven Bild des Geschehens entnommen werden, wenn dessen gedankliche Erfassung durch den Täter auf der Hand liegt. Das gilt in objektiv klaren Fällen bei einem psychisch normal disponierten Täter selbst dann, wenn er die Tat einer raschen Eingebung folgend begangen hat.

3. Unfall iSv § 142 StGB ist jedes mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis, durch das ein Mensch zu Schaden kommt oder ein nicht ganz belangloser Sachschaden verursacht wird. Dem steht nicht entgegen, dass das Geschehen ein daran Beteiligter vorsätzlich herbeigeführt hat, wenn nur einem anderen ein von ihm ungewollter Schaden entstanden ist. Zudem setzt die Annahme eines „Verkehrsunfalls“ einen verkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang in der Weise voraus, dass sich in dem „Verkehrsunfall“ gerade die typischen Gefahren des Straßenverkehrs verwirklicht haben müssen.

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