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Anfechtung von Nebenbestimmungen

BVerwG, Beschluss vom 29.03.2022 – Az. BVerwG 4 C 4.20, NVwZ 2022, 1798

Sachverhalt

(gekürzt und abgewandelt)

K möchte in direkter Nähe zur Bundesautobahn A3 eine mobile Gastankstelle auf seinem Grundstrück betreiben. 

Nach § 9 I Nr. 1 FStrG liegt diese durch die Autobahnnähe jedoch innerhalb der Bauverbotszone. Im Dezember erteilte der zuständige Landesbetrieb Straßenbau Nordrhein-Westfalen K trotzdem eine auf ein Jahr befristete Ausnahme von dem Bauverbot nach § 9 VIII FStrG sowie eine befristete Baugenehmigung für die mobile Gastankstelle. Wenig später erteilt sie K sogar eine unbefristete Bauverbotsausnahme. 

K sorgt sich um die ungewisse Zukunft seiner Gastankstelle und möchte dies nicht auf sich sitzen lassen. Er begehrt daher eine unbefristete Baugenehmigung. Nach Durchführung eines Vorverfahrens erhebt K form- und fristgerecht vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen die Befristung der Baugenehmigung. Die Behörde führt daraufhin aus, K habe schon gar keinen Anspruch auf eine unbefristete Baugenehmigung: Die Ausnahmegenehmigung sei nur befristet, sodass mit dessen Ablauf die Erteilung einer Baugenehmigung auch wieder gegen § 9 I Nr. 1 FStrG verstieße. Ohne Befristung würde der Grund-VA daher absehbar rechtswidrig. Die Befristung könne daher auch nicht in seine Rechte eingreifen. Ohnehin sei schon zweifelhaft, ob ein korrekter Bauantrag vorliege, sodass die Baugenehmigung auch ganz grundsätzlich versagt werden müsste. K wendet ein, dass der Landesbetrieb sich nur ein Prüfungsrecht vorbehalten wollte, um nach Fristablauf die Genehmigungsvoraussetzungen erneut überprüfen zu können. Dies sei kein legitimes Interesse, wenn seine Gastankstelle doch bereits alle Voraussetzungen erfülle. Darüber hinaus sei die Problematik des richtigen Bauantrags keine Frage, die sich bei seiner Klage, die sich explizit nur gegen die Nebenbestimmung richte, stelle, da es ihm ausweislich seines Klageantrags nur um die Aufhebung der Nebenbestimmung ginge. 


Hat die Klage des K Erfolg?

§ 9 FStrG – Bauliche Anlagen an Bundesfernstraßen

(1) Längs der Bundesfernstraßen dürfen nicht errichtet werden

1. Hochbauten jeder Art in einer Entfernung bis zu 40 Meter bei Bundesautobahnen und bis zu 20 Meter bei Bundesstraßen außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten, jeweils gemessen vom äußeren Rand der befestigten Fahrbahn, (…)

(8) Die oberste Landesstraßenbaubehörde oder das Fernstraßen-Bundesamt an den Bundesfernstraßen, soweit dem Bund die Verwaltung einer Bundesfernstraße zusteht, kann im Einzelfall Ausnahmen von den Verboten der Absätze 1, 4 und 6 zulassen, wenn die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde und die Abweichung mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist oder wenn Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Abweichungen erfordern. Ausnahmen können mit Bedingungen und Auflagen versehen werden.

§ 74 BauO NRW – Baugenehmigung

(1) 1Die Baugenehmigung ist zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit die Prüfung nicht entfällt, dem öffentlichen Baurecht entspricht. (…)


Skizze


Gutachten

Die Klage des K hat Erfolg, sofern sie zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit der Klage

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Der Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist § 40 I 1 VwGO heranzuziehen, sodass die streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts sein muss. Streitentscheidende Normen sind die die Befristung legitimierenden Normen, also §§ 36 I Alt. 2 VwVfG, 74 BauO NRW und § 9 FStrG. Diese berechtigen und verpflichten ausschließlich Hoheitsträger, wobei die Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art ist. Mithin ist der Streitgegenstand öffentlich-rechtlicher, nicht verfassungsrechtlicher Natur i.S.d. § 40 I 1 VwGO. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist ferner nicht ersichtlich. 

II. Statthafte Klageart

Welche Klageart statthaft ist, bemisst sich gem. § 88 VwGO nach dem Begehren des Klägers. K begehrt die Aufhebung der Befristung. Inwieweit Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen besteht, ist umstritten.

Nach früher vertretener Ansicht muss nach der Art der Nebenbestimmung unterschieden werden, sodass gegen Auflagen die Anfechtungsklage statthaft sei und gegen Bedingungen und Befristungen auf eine Verpflichtungsklage abgestellt werden müsse.[1]Maurer/Walhdhoff, Alg. VerwaltungsR, 20. Aufl. 2020, § 12 Rn. 24.. Eine andere Auffassung differenziert zwischen gebunden und ungebundenen Verwaltungsakten – wobei gegen Nebenbestimmungen bei ersteren die Anfechtungs- und bei letzteren die Verpflichtungsklage statthaft wäre.[2]Detterbeck, Alg. VerwaltungsR, 20. Aufl. 2022, Rn. 668. Die Rechtsprechung wiederum hält nach ständiger Praxis die Anfechtungsklage für statthaft.[3]Grundlegend: BVerwG, NVwZ 2001, 429; eine Mindermeinung in der Literatur verweist diametral dazu auf die Verpflichtungsklage, vgl. z.B. Happ, in: Eyermann, 16. Aufl. 2022, § 42 Rn. 41. Demnach komme es erst in der Begründetheit darauf an, ob der Grund-VA ohne die Nebenbestimmung sinnvollerweise bestehen könne, sofern die Aufhebung nicht offenkundig rechtswidrig sei. 

Gegen eine isolierte Anfechtung spricht, dass der Behörde durch die isolierte Anfechtung ein nicht gewollter Verwaltungsakt aufgedrängt würde, was sich insbesondere bei Ermessensentscheidungen als problematisch darstellen könnte.[4]Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 42 Rn. 24.. Dagegen ist aber einzuwenden, dass die Behörde sich schützen kann, indem sie z.B. den ungewollten VA zurücknimmt.[5]Maurer/Walhdhoff, Alg. VerwaltungsR, 20. Aufl. 2020, § 12 Rn. 28; dagegen kann wiederum eingewandt werden, dass dies nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist und insofern nur ein begrenzter … Continue reading Für eine Teilanfechtung, unabhängig der Art der Nebenbestimmung oder des Verwaltungsakts, spricht auch der Wortlaut des § 113 I 1 VwGO, der die gerichtliche Aufhebung des Verwaltungsakts anordnet, „soweit“ dieser rechtswidrig ist und somit keine Differenzierung irgendeiner Art vornimmt. Da die Anfechtungsklage am rechtsschutzintensivsten ist, entspricht dies auch am ehestem dem Interesse der Bürger*innen, weil es für ihren Erfolg genügt, wenn die Nebenbestimmung rechtswidrig ist.[6]Detterbeck, Alg. VerwaltungsR, 20. Aufl. 2022, Rn. 671. Daher ist von der generellen isolierten Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen auszugehen, also auch in Fällen der Befristung wie hier bei K. Daher ist die Anfechtungsklage, § 42 I Alt. 1 VwGO, statthaft. 

Vernetztes Lernen: Wie lassen sich die verschiedenen Nebenbestimmungen unterscheiden?
An die verschiedenen Nebenbestimmungen werden teilweise verschiedene Anforderungen gestellt, sodass eine Differenzierung von diesen vonnöten ist.

In § 36 II VwVfG sind die verschiedene Nebenbestimmungen gelistet:
1. Befristung
2. Bedingung
3. Widerrufsvorbehalt
4. Auflage
5. einem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage

Die Abgrenzung erfolgt über die Auslegung, wobei die spezifische Bezeichnung durch die Behörde primär relevant ist, wenn auch nicht abschließend entscheidend. Wie streng die Bindung an die Bezeichnung ist, wird unterschiedlich beurteilt.[7]Vgl. Steckens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage 2023, § 36 Rn. 68 und OVG Münster NVwZ-RR 2011, 47, 50. Darüber hinaus kann aber jedenfalls auch die Zulässigkeit der Nebenbestimmung als Indiz herangezogen werden, sodass diejenige Nebenbestimmung zu wählen ist, die im Zweifel zulässig ist, da die Behörde kein Interesse an einer rechtswidrigen Nebenbestimmung hat (Art. 20 III GG). Ferner kommt es auch auf den Willen der Behörde an, insb. darauf welches Mittel den Intentionen der Behörde eher gerecht wird. Ist der Behörde bspw. die Beachtung der Nebenbestimmung so wichtig, dass sie die Wirksamkeit des Verwaltungsakts davon abhängig machen will, ist eher von einer Bedingung auszugehen.[8]Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Auflage 2020, § 12 Rn. 18.

III. Klagebefugnis

Um Popularklagen zu vermeiden, bedarf es gem. § 42 II VwGO einer Klagebefugnis. Als Adressat der belastenden Nebenbestimmung wäre K zumindest in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG tangiert, sodass eine Rechtsverletzung nicht von vorneherein ausgeschlossen ist.[9]Zwar ist der Hauptverwaltungsakt (auch mit der Nebenbestimmung) insgesamt begünstigend, so kommt es gerade nur auf die Nebenbestimmung an. Diese ist für K nachteilig und damit belastend. K ist klagebefugt. 

IV. Klagegegner

Der Klagegegner richtet sich nach dem Rechtsträgerprinzip, § 78 I Nr. 1 VwGO, sodass das Land der richtige Klagegegner ist.

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

K ist gem. § 61 Nr. 1 VwGO beteiligtenfähig, die Straßenbaubehörde nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO. Die Prozessfähigkeit ergibt sich für K wiederum aus § 62 I Nr. 1 VwGO und für die Behörde bei ordnungsgemäßer Vertretung aus § 62 III VwGO.

VI. Form und Frist

Laut Sachverhalt hat K die Klage auch frist- und formgerecht i.S.d. §§ 74, 81 VwGO eingereicht. 

VIII. Zwischenergebnis

Die Klage des K ist zulässig. 

B. Begründetheit

Die Klage des K ist begründet, wenn die Befristung der Baugenehmigung rechtswidrig war und er dadurch in seinen Rechten verletzt ist. Nach bisheriger Rechtsprechung des BVerwG muss zusätzlich dazu der Grund-Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben können.[10]Vgl. BVerwG, NVwZ 1984, 366; BVerwG, NVwZ 1989, 864; BVerwG, NVwZ 2001, 429; BVerwG, NVwZ-RR 2007, 776 Rn. 20; BVerwG, 2013, 805 und BVerwG, NVwZ 2021, 163.

I. Rechtswidrigkeit der Befristung

Die Befristung müsste rechtswidrig sein. Die Anforderungen an die Rechtmäßigkeit von Nebenbestimmungen unterscheiden sich i.R.d. § 36 VwVfG danach, ob es sich um einen gebundenen oder nicht gebundenen Verwaltungsakt handelt. Bei § 74 I BauO NRW handelt es sich um solch einen gebunden Anspruch („ist zu erteilen“), sodass § 36 I VwVfG herangezogen werden muss. Nach § 36 I VwVfG dürfen Verwaltungsakte, auf die ein Anspruch besteht, nur mit Nebenbestimmungen versehen werden, wenn sie gesetzlich zugelassen sind oder sicherstellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Hauptverwaltungsakts eingehalten werden.

Voraussetzung des § 74 BauO NRW ist, dass dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften entgegenstehen. Zum öffentlichen Baurecht gehört auch § 9 I Nr. 1 FStrG

Insofern gibt die Behörde an, dass die Befristung der Baugenehmigung dazu dient, eine Koordination mit der Ausnahmegenehmigung nach § 9 VIII FStrG herzustellen, damit diese gleichläuft und keine Baugenehmigung besteht, obwohl die Ausnahmegenehmigung bereits abgelaufen ist. Wenn die Ausnahmegenehmigung abliefe, so würde die Baugenehmigung wieder gegen § 9 I Nr. 1 FStrG verstoßen und rechtswidrig werden. Damit diene sie der Sicherstellung der Voraussetzungen des Grundverwaltungsakts i.S.d. § 36 I Alt. 2 VwVfG

Dies vermag jedoch nicht zu überzeugen. Spätestens zu dem Zeitpunkt in dem die Behörde dem K eine unbefristeteBauverbotsausnahme bewilligt hat, stand § 9 I Nr. 1 FStrG einer Baugenehmigung nicht mehr im Wege. Es bestand insofern gar kein Koordinierungsbedarf mehr. Wenn es der Behörde, so wie K einwendet, ferner nur darum ginge, die Rechtmäßigkeit regelmäßig zu prüfen, stünden der Behörde weniger einschneidende Mittel zur Verfügung, um die Koordination von § 74 BauO NRW und § 9 I Nr. 1 FStrG sicherzustellen. Beispielsweise könnte die Behörde eine auflösende Bedingung oder einen Widerrufsvorbehalt erwägen.[11]BVerwG, NVwZ 2022, 1798, Rn. 6. Die Behörde hat ihr Ermessen aus § 36 I Alt. 2 VwVfG („darf“) somit überschritten. Die Voraussetzungen des § 36 I Alt. 2 VwVfG sind damit nicht erfüllt und die Befristung daher rechtswidrig.

II. Rechtmäßigkeit und Sinnhaftigkeit der verbleibenden Hauptregelung

Nach der Rechtsprechung des BVerwG muss zusätzlich gesichert sein, dass der Hauptverwaltungsakt auch bei Aufhebung der Nebenbestimmung für sich sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen kann. Dies ist zu verneinen, wenn zwischen der Nebenbestimmung und dem Inhalt des Grundverwaltungsakts ein solcher Zusammenhang besteht, der die isolierte Aufhebung ausschließt. In der bisherigen Rechtsprechung ist diese Prüfung (sog. materielle Teilbarkeit) sehr eng ausgefallen, sodass sich diese darauf beschränkte, ob der Hauptverwaltungsakt, wenn die belastende Nebenbestimmung wegfällt, gerade wegen dieses Wegfalls rechtswidrig werden würde.[12]BVerwG, NVwZ 2022, 1798, Rn. 9; vgl. auch Anm. Hufen, NVwZ 2022, 1800 f. Teilweise wurde diese Prüfung aber erweitert, sodass entscheidungserheblich wäre, ob der Grundverwaltungsakt an sich schon rechtswidrig ist.[13]BVerwG, NVwZ 2021, 163 Rn. 19 – Rechtsprechung des 8. Senats.

Fraglich ist daher, wie weit die Prüfungsmöglichkeit des Hauptverwaltungsakts reicht und ob bspw. der schon zweifelhafte Bauantrag überhaupt gerichtlich geprüft werden dürfe. 

Dafür spricht, dass das Gericht ansonsten einen rechtswidrigen Verwaltungsakt „billigen“ würde, wenn es den Hauptverwaltungsakt bestehen ließe.[14]BVerwG, NVwZ 2022, 1798, Rn. 9. Dies ist gerade unter dem Gesichtspunkt des Rechtsstaatsprinzip und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung aus Art. 20 III GG problematisch.[15]Anm. Funke, NVwZ 2022, 1800 

Jedoch sprechen insbesondere verwaltungsrechtliche Spezifika dafür, die materielle Teilbarkeit nicht unbegrenzt durch die Gerichte prüfen zu lassen, sondern sie nur auf das Zusammenspiel von Nebenbestimmung und Hauptverwaltungsakt zu begrenzen. Zum einen wendet sich der/die Kläger*in nur gegen die Nebenbestimmung, sodass der Hauptverwaltungsakt an sich nicht Streitgegenstand und damit auch nicht Prüfungsgegenstand ist.[16]Funke, NVwZ 2021, 114, 116. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, über den Streitgegenstand der Klage hinaus die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu prüfen.[17]Stelkens in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage 2023, § 36 Rn. 60. Vielmehr obliegt es der Behörde, die ggf. ein Interesse an der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts hat, diesen gem. § 48 VwVfG aufzuheben. Insofern genießen Bürger*innen auch bei rechtswidrigen Verwaltungsakten eine subjektiv-rechtliche Position, die schutzwürdig ist, was sich auch in dem rechtsstaatlichen Abwägungsprogramm zwischen Vertrauensschutz und Gesetzmäßigkeit der Verwaltung spiegelt.[18]Vgl. BVerwG, NVwZ 2022, 1798, Rn. 13.

Dies entspricht auch dem Prinzip der Bestandskraft und Bindungswirkung von Verwaltungsakten. Mit Aufhebung der Nebenbestimmung würde der Hauptverwaltungsakt bestandskräftig und damit der gerichtlichen Überprüfung entzogen.[19]BVerwG, NVwZ 2022, 1798, Rn. 14. Würde den Kläger*innen die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes im Prozess entgegengehalten werden, würde dieser Grundsatz gebrochen.

Darüber hinaus würde er auch zu einer Entwertung des Rechtsschutzes zu Lasten der Kläger*innen führen, da ihnen im Prozess auch die Sanktionslast für sonstige Mängel des Verwaltungsakts aufgebürdet würde.[20]BVerwG, NVwZ 2022, 1798, Rn. 15. Denn „der praktische Vorzug der isolierten Anfechtungsklage besteht gerade darin, dass sich der Prozessstoff und der Prüfungsumfang auf die Nebenbestimmung und ihre Trennbarkeit vom Verwaltungsakt beschränken.“[21]BVerwG, NVwZ 2022, 1798, Rn. 17.

Damit umfasst die Prüfung nur, ob der Verwaltungsakt gerade wegen des Wegfalls der Nebenbestimmung rechtswidrig würde; andere Rechtswidrigkeitserwägungen des Hauptverwaltungsaktes sind nicht zu prüfen. Da die Baugenehmigung wegen der unbefristeten Ausnahmegenehmigung nach § 9 VIII FStrG nicht mehr gegen § 9 I Nr. 1 FStrG verstieße, würde der Grundverwaltungsakt durch die isolierte Aufhebung nicht rechtswidrig, sondern kann für sich bestehen. Somit besteht keine Konnexität zwischen der Aufhebung der Nebenbestimmung und der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts. Die Hauptregelung kann daher sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben.           

Abweichung von der Rechtsprechung?
Die Verfahrenshistorie, die dem Fall zu Grunde liegt, vermag auf den ersten Blick verwirren. Man kann wohl aber annehmen, dass keine „echte“ Rechtsprechungsänderung vorliegt. Vielmehr nimmt der 4. Senat hier nur eine erneute Klarstellung bezüglich der gefestigten Rechtsprechung vor, nachdem die Rechtslage nach einem vorherigen Urteil des 8. Senats vom 06.11.2019 (BVerwG, NVwZ 2021, 163) unklar war. In dieser argumentierte der 8. Senat, dass es darauf ankomme, dass der Grundverwaltungsakt an sich rechtmäßig sei, sodass er von der oben genannten Grundsatzrechtsprechung abwich.[22]Vgl. dazu: Funke, NVwZ 2021, 114, 115. Insofern wollte der 4. Senat durch seine Argumentation und Anfrage sich hier vergewissern, ob der 8. Senat eine solche Rechtsprechungsänderung tatsächlich anstrebt. Durch Beschluss vom 12.10.2022 hat der 8. Senat dies verneint, vielmehr schließt er sich dem 4. Senat an.[23]BVerwG, Beschl. V. 29.03.2022 – AZ: BVerwG 4 C 4.20. 

III. Rechtsverletzung des K

Da K sein Grundstück nicht nach Belieben nutzen konnte, verletzt die rechtswidrige Befristung ihn auch in seinen subjektiven Rechten aus Art. 14 I GG, jedenfalls aber aus Art. 2 I GG, sofern dieser nicht zurücktritt.

IV. Ergebnis

Die Klage ist begründet.

C. Gesamtergebnis 

Die Klage des K ist sowohl zulässig als auch begründet und hat damit Erfolg. 


Zusatzfragen

Was ist die Besonderheiten an „Auflagen“ im Versammlungsrecht?
Im Kontext von Versammlungen erlässt kann zuständige Behörde „Auflagen“ für deren Durchführung erlassen (vgl. z.B. § 15 I VersG). Im Versammlungsrecht sind Auflagen rechtstechnisch gesehen aber grundsätzlich nicht denkbar. Das liegt daran, dass Auflagen akzessorisch zu einem Hauptverwaltungsakt erlassen werden, Versammlungen aber genehmigungsfrei sind (z.B. § 1 VersG). Daher muss hier genau gearbeitet werden – trotz trügerischer Bezeichnung als Nebenbestimmung handelt es sich nicht um eine solche, sondern um einen normalen Verwaltungsakt, der über die Anfechtungsklage beseitigt werden kann.
Wie ist das BVerwG aufgebaut? Was passiert, wenn die verschiedenen Senate am BVerwG unterschiedliche Rechtsauffassungen haben?
Das BVerwG gliedert sich gem. § 10 II, III VwGO in verschiedene Senate, die i.d.R. mit jeweils fünf Richter*innen besetzt sind. Die Anzahl der Richter*innen bestimmt sich nach der Erforderlichkeit. Derzeit bestehen zehn Revisionssenate, zwei Wehrdienstsenate und ein Fachsenat.[24]Vgl. https://www.bverwg.de/das-gericht/organisation/richter-und-senate. Darüber hinaus wird ein großer Senat gebildet, § 11 I VwGO, welcher sich aus dem Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts und je einer Richterin oder einem Richter der übrigen Revisionssenate zusammensetzt. Nicht zu verwechseln ist dieser mit dem gemeinsamen Senat (Art. 95 III GG), welcher dann tätig wird, wenn die obersten Gerichtshöfe (BGH, BVerwG etc.) zu unterschiedliche Rechtsauffassung in der selben Thematik kommen.

Sollte es zu zwischen den verschiedenen Senaten oder zwischen einem Senat und dem großen Senat zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen bezüglich einer Thematik kommen, so muss dieser nach § 11 II VwGO entscheiden. Dazu bedarf es einer Anfrage eines Senats an den anderen, woraufhin dieser erklären muss, dass er an seiner Rechtsauffassung festhalten möchte, § 11 III VwGO. Dies ist hier, dadurch dass sich der 8. Senat dem 4. Senat mit Beschluss vom 12.10.2022 angeschlossen hat, gerade ausgeblieben.


Zusammenfassung

1. Befristungen sind isoliert anfechtbar.

2. Im Rahmen der Begründetheit kommt es darauf an, ob die Nebenbestimmung an sich rechtswidrig ist und ob der Grundverwaltungsakt sinnvoller- und rechtmäßigerweise ohne die Nebenbestimmung bestehen kann.

3. Bei der Prüfung des Grundverwaltungsakts kommt es darauf an, ob der Verwaltungsakt gerade durch die Aufhebung der Nebenbestimmung rechtswidrig wird. Nicht entscheidend ist, ob der Verwaltungsakt auch darüber hinaus an sich rechtswidrig ist. 

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