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Ärztliche Suizidbeihilfe
BGH, Urteil vom 03.07.2019 – 5 StR 393/18NJW 2019, 3089

Sachverhalt

D leidet ihr Leben lang unter einem Reiz-Darm-Syndrom. Jegliche Therapieversuche bleiben erfolglos und eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Lebensqualität der D ist dadurch derart eingeschränkt, dass sie über Jahre hinweg den Wunsch äußert, sterben zu wollen. Mehrfache Suizidversuche ihrerseits gelangen ihr jedoch nicht. Daher wendet sie sich 2013 an ihre Hausärztin, sie bei ihrer Selbsttötung zu unterstützen. A ist aufgrund der langen Leidensgeschichte überzeugt, D bei ihrem Vorhaben zu helfen. Sie stellt D ein Rezept für ein Medikament aus. Danach löst sie selbst ein Rezept für das todbringende Medikament ein und gibt es D. Nachdem D die Medikamente eingenommen hatte, sollte A sie betreuen und erhält dafür den Haustürschlüssel. D nimmt bei klarem Verstand und in vollem Bewusstsein das Medikament. Kurz danach informiert sie A, die kurze Zeit später in ihrer Wohnung eintrifft. A findet D bereits in einem komatösen Zustand vor. Bis zum Tod der D besucht A sie mehrfach und gibt ihr krampflösende und gegen Erbrechen wirkende Medikamente. Beide Medikamente haben keinen Einfluss auf den Todeseintritt. Ob notärztliche Sofortmaßnahmen die D hätten retten können, kann im Nachhinein nicht eindeutig festgestellt werden.

Wie hat sich die Hausärztin A strafbar gemacht?


Skizze


Gutachten

A. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 216 StGB

A könnte sich wegen der Tötung auf Verlangen der D gem. §§ 212 I, 216 StGB strafbar gemacht haben, indem A der D die todbringenden Medikamente verschafft hat, die D dann selbstständig einnahm und daran verstarb.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Tod eines anderen Menschen

D ist gestorben, der Tod eines anderen Menschen liegt vor.

b) Kausalität

Das Verschaffen der todbringenden Medikamente muss kausal für den Eintritt des Todes der D gewesen sein. Nach der conditio-sine-qua-non-Formel ist eine Handlung kausal für den tatbestandsmäßigen Erfolg, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der tatbestandliche Erfolg entfiele.[1]Rengier, Strafrecht AT, 11. Auflage 2019, § 13, Rn. 3. Wenn A der D die Medikamente nicht verschafft hätte, hätte D diese nicht einnehmen können und wäre nicht gestorben. Demnach ist das Verschaffen der Medikamente als Handlung kausal für den Eintritt des Todes.

Anmerkung
Durch das Beibringen der krampflösenden und gegen erbrechenwirkenden Medikamente liegt auch kein Fall der überholenden Kausalität vor, da A mit der Handlung keinen neuen Kausalverlauf in Gang setzte. Die durch A beigebrachten Medikamente hatten keinen Einfluss auf den Eintritt des Todes.
Vernetztes Lernen: Welche Formen der Kausalität kennen wir und wann kann eine Kausalitätsdurchbrechung angenommen werden?
Die Kausalität muss in den folgenden Fällen ausführlicher besprochen werden:
– Überholende Kausalität
– Alternative Kausalität
– Kumulative Kausalität
Vgl. hier die Zusatzfrage 1 des Falls „Das Leid der Welt sollst du nicht ertragen“.

Mithin ist die Kausalität gegen.

c) Objektive Zurechenbarkeit

Der Tod der D müsste A objektiv zurechenbar sein. Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg immer dann, wenn der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich im tatbestandsmäßigen Erfolg realisiert hat.[2]Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 46. Indem A der D todbringende Medikamente verschafft hat, könnte A die rechtlich missbilligte Gefahr des Todes der D geschaffen haben, welches sich durch die Einnahme der Medikamente durch D realisiert haben könnte.

Die Frage ist, ob hier ein Risikozusammenhang besteht oder ob möglicherweise durch das selbstständige Einnehmen der Medikamente, die Zurechnung unterbrochen wurde. Grundsätzlich kann die objektive Zurechnung aufgrund einer freiverantwortlichen Selbstgefährdung des Opfers unterbrochen werden.[3]Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 77.

Vernetztes Lernen: Weshalb bedarf es der Unterbrechung der Zurechenbarkeit?
Die Selbsttötung als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts gem. Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG ist immer straflos. In der Regel ist daher die Teilnahme an einer straflosen Selbsttötung nicht strafbar. Daher bedarf es der Abgrenzung dessen, was noch als Selbsttötung und was bereits unter Fremdtötung erfasst wird. Eine Ausnahme der strafbaren Suizidbeihilfe wurde in § 217 StGB geschaffen, der jedoch 2020 vom BVerfG als verfassungswidrig erklärt wurde. Das BVerfG stellt fest, dass eine Pönalisierung der Suizidbeihilfe möglich ist, aber nicht in der vollumfänglichen Form des § 217 StGB.[4]Vgl. dazu BVerfG NJW 2020, 905.

Fraglich ist, ob die Verschaffung der tödlichen Medikamente eine straflose Hilfeleistung zur eigenverantwortlich verwirklichten Selbsttötung der D darstellt. Es bedarf daher der Abgrenzung der Selbsttötung von einer Fremdtötung. Die Abgrenzung erfolgt anhand der Kriterien von Tatherrschaft und Tatherrschaftswillen und der Bestimmung der Freiverantwortlichkeit des Suizidenten.[5]BGHSt 2, 150, 152f.; 24, 342, 344; Hecker, JuS 2020, 82 ,83.

aa) Tatherrschaft

Demnach muss der Suizidierende die Tatherrschaft über den todbringenden Akt haben. Nach welchen Maßstäben die Tatherrschaft zu bestimmen ist, ist umstritten.

Nach der Tatherrschaftslehre hat der Suizident die Tatherrschaft, wenn er im Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tod führende Geschehen innehat. Wenn der Sterbewillige sich in die Hand eines Dritten begibt und den Tod duldend in Kauf nimmt, beherrscht der Dritte das Geschehen. Nimmt der Sterbewillige die todbringende Handlung selbst vor und behält die freie Entscheidung über sein Schicksal, tötet er sich selbst.[6]BGH NJW 2019, 3089 Rn. 13 m.w.N.  D nimmt das Medikament bei vollem Bewusstsein selbstständig ein und hat somit die Herrschaft über das zum Tode führende Geschehen. Nach der Rechtsprechung ist von einer Selbsttötung der D auszugehen.

Nach der gemäßigt-subjektiven Theorie kann die Handlungsherrschaft über das Geschehen durch eine Wissens- und Willensherrschaft begründet werden. Danach ist zu bestimmen, ob der Suizidierende oder ein Dritter die Wissens- und Willensherrschaft über das Geschehen hat.[7]Kudlich, in: BeckOK StGB, § 25 Rn. 14. Kriterien zur Bestimmung des Täterwillens sind beispielsweise das Interesse an dem Taterfolg, Wille zur Tatbegehung und Mitbeherrschen des Tatgeschehens.[8]Kudlich, in:BeckOK StGB, § 25 Rnn. 14. Wenn die Tatherrschaft durch eine Willens- und Wissensherrschaft bei dem Täter liegt, ist von einer mittelbaren Täterschaft auszugehen und das Opfer als Werkzeug gegen sich selbst zu qualifizieren. Eine Wissensherrschaft wird immer in den Fällen vorliegen, in denen der Suizident sich in einer freien willensbildenden ausschließenden Lage befindet. Dann kann das Verschaffen der Möglichkeit des Suizids sich als in mittelbarer Täterschaft begangenen Delikt darstellen.[9]BGH NJW 2019, 3089, Rn. 16. D entschied selbstständig, den Suizid begehen zu wollen. Die Ärztin A hatte kein eigenes Interesse an der Tat. Die Einnahme der Tabletten geschah allein durch D. Daher ist auch nach der gemäßigt-subjektiven Theorie die Tatherrschaft bei D, sodass auch hier von einer Selbsttötung auszugehen und eine mittelbare Täterschaft nicht einschlägig ist.

Da beide Ansichten zu demselben Ergebnis kommen, bedarf es keiner Stellungnahme. D hatte die Tatherrschaft, sodass eine Selbsttötung vorliegt.

bb) Freiverantwortlichkeit

Darüber hinaus muss die Selbsttötung der D freiverantwortlich gewesen sein. Wonach sich die Freiverantwortlichkeit bemisst, ist ebenfalls umstritten.

(1) Einwilligungslösung

Nach der Einwilligungslösung richtet sich die Freiverantwortlichkeit nach den Maßstäben einer wirksamen Einwilligung. Das heißt, das Opfer muss einsichts- und urteilsfähig und der Wille muss frei und ohne Willensmängeln gebildet sein. Diese Ansicht wird von der Rechtsprechung vertreten. (Vgl. BGH NJW 2019, 3089, Rn. 17 m.w.N.)) Ausschlussgründe der Freiverantwortlichkeit sind folglich Minderjährigkeit, krankheitsbedingte Defizite oder wenn der Entschluss aufgrund von Zwang, Drohung oder Täuschung durch den Täter gefasst wurde. Auch ein kurzer Moment einer depressiven Stimmung reicht nicht für die Freiverantwortlichkeit aus, da der Wille keine innere Festigkeit aufweist.[10]BGH NJW 2019, 3089, Rn. 17.

Für die Freiverantwortlichkeit des Suizides der D spricht insbesondere, dass sie eine langjährige Krankheitsgeschichte hinter sich hat und kein Besserung ihres Gesundheitszustandes in Aussicht stand. D hatte bereits mehrere Suizidversuche hinter sich und äußerte gegenüber ihrer Angehörigen über Jahre hinweg ihre Todeswünsche. Der endgültige Entschluss zur Selbsttötung entstand auch nicht aus einem kurzen Moment einer depressiven Stimmung, da sich D schon viele Jahre mit dem eigenen Tod auseinandergesetzt hat. Bei der Einnahme der Medikamente war D bei vollem Bewusstsein und klarem Verstand. Daher ist von der Einsichts- und Urteilsfähigkeit der D auszugehen. Auch basiert der gefasste Suizidwille nicht auf einem Mangel, sodass nach der Einwilligungslösung von der Freiverantwortlichkeit der D ausgegangen werden kann.

(2) Schuldlösung

Die überwiegend im Schrifttum vertretene Schuldlösung bemisst die Freiverantwortlichkeit daran, ob der Suizident bei der Tat sich in einem schuldausschließenden Zustand gem. §§ 19, 20, 35 StGB befand. Hierbei geht es nicht um die konkrete Anwendung der Norm, da diese nicht auf die Selbsttötung zu übertragen sind. Vielmehr soll der Sinngehalt der Bestimmung zur Beurteilung der Freiverantwortlichkeit herangezogen werden. Denn ein schuldausschließender Zustand zeigt die Grenze auf, für welche Handlungen der Einzelne verantwortlich sein kann und somit die Verantwortlichkeit eines Dritten ausgeschlossen ist. Das heißt, eine Selbsttötung ist danach nicht freiverantwortlich, wenn der Suizident auf Grund jugendlicher Unreife, im Zustand geistiger Erkrankung, schwerer seelischer Störung oder in einer gravierenden Notstandslage sich selbst tötet. In diesen Fällen kann der Täter nicht mehr für seine Handlung verantwortlich gemacht werden.[11]Schneider, MüKO StGB, Auflage, Vorb. § 211 Rn. 38. D handelte bei der Einnahme der Tabletten willensfest und zielstrebig. Schuldausschließende Zustande sind nicht ersichtlich. Daher liegt auch nach der Schuldlösung die Freiverantwortlichkeit der D vor.

Da beide Ansichten zu demselben Ergebnis kommen, ist eine Stellungnahme entbehrlich. D handelte freiverantwortlich.

cc) Zwischenergebnis

Mithin liegt eine freiverantwortliche Selbsttötung der D vor, sodass ihr Tod der A nicht mehr objektiv zugerechnet werden kann.

2. Zwischenergebnis

Der objektive Tatbestand der Tötung auf Verlangen liegt mangels der objektiven Zurechenbarkeit der Handlung nicht vor.

II. Ergebnis

A hat sich demnach nicht wegen der Tötung auf Verlangen der D gem. §§ 212 I, 216 StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 216, 22, 23, 13 StGB

A könnte sich wegen einer versuchten Tötung auf Verlangen der D durch Unterlassen gem. §§ 212 I, 216, 22, 23, 13 StGB strafbar gemacht haben, indem A nachdem D ihr Bewusstsein verloren hat, keine Rettungsmaßnahmen eingeleitet hat und D verstarb.

I. Vorprüfung

1. Versuchsstrafbarkeit

Der Versuch einer Tötung auf Verlangen durch Unterlassen ist gem. § 23 I StGB strafbar, da § 216 II StGB die Versuchsstrafbarkeit ausdrücklich bestimmt.

2. Nichtvollendung

Da nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Taterfolg ausgeblieben wäre, wenn A Rettungsmaßnahmen eingeleitet hätte, ist der Tatbestand der Tötung auf Verlangen durch Unterlassen nicht vollendet.

Anmerkung

Näheres zu dem Problem im Unterlassen bei einer nicht eindeutig feststellbaren Rettungsmöglichkeit, findet ihr in der Zusatzfrage des Falls „Spice“.

II. Tatbestand

1. Tatentschluss

A müsste einen Tatentschluss gefasst haben, also vorsätzlich bzgl. aller objektiven Tatbestandsmerkmale gehandelt haben.

a) Bzgl. des Taterfolges

A müsste vorsätzlich bzgl. des Nichtabwenden des Todeseintrittes bei D gehandelt haben. A unterließ bewusst und gewollt die Nutzungsmöglichkeit der Rettungshandlung. A ging davon aus, dass die Rettungshandlung der D helfen könnte und leitete trotzdem keine ein. Der Tod der D war daher von A gewollt. A handelte auch in Kenntnis und im Willen des ernstlichen und ausdrücklichen Verlangens der D, indem sie untätig blieb. Bzgl. des Taterfolges hatte A somit Vorsatz.

b) Bzgl. der Garantenstellung

Weithin müsste A auch in Kenntnis der Garantenstellung gehandelt haben. Eine Garantenpflicht liegt gem. § 13 I StGB immer dann vor, wenn der Täter rechtlich dafür einzustehen hat, dass der tatbestandsmäßige Erfolg nicht eintritt. Fraglich ist, ob A solch eine Garantenstellung zu kommt.

aa) Beschützergarant

Die Garantenstellung des Arztes ergibt sich aus dem Arzt-Patienten-Verhältnis, welches mit einem besonderen Vertrauen einhergeht. Damit wird eine Schutzposition für Leib und Leben des Patienten begründet.[12]BGH NJW 1984, 2639. Daher ist der Hausarzt im Behandlungskontext als Beschützergarant zu qualifizieren.

Fraglich ist jedoch, ob die Garantenpflicht auch in den Fällen der Selbstgefährdung, die auf einem freiverantwortlichen Willen beruht, ohne Grenzen greift.

Nach der früher in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht, hat der Beschützergarant aufgrund seiner Schutzpflicht für Leib und Leben auch den Eintritt des Todes bei einem bewusstlosen Suizidpatienten abzuwenden. Wenn aufgrund der Bewusstlosigkeit des Suizidenten der Arzt das Geschehen in den Händen hält, also die Tatherrschaft somit wechselt, wird die Eigengefährdung zu einer Fremdgefährdung.[13]BGH NJW 1984, 2639 (2641) – sog. <i>Peterle-Entscheidung</i>. Für die Annahme des Tatherrschaftswechsels spricht, dass es keinen Grundsatz gibt, wonach sich der Arzt der freien Entscheidung des Suizidentens unterzuordnen habe und den Bewusstlosen sterben zu lassen hat.[14]Kubiciel NJW 2019, 3033 (3034).

Läge man diesen Maßstab zu Grunde, wäre A zur Abwendung der Lebensgefahr der D verpflichtet gewesen, da D sich nach der Einnahme der Tabletten in einem bewusstlosen Zustand befand und somit das weitere Geschehen nicht mehr in den Händen hält. Auf A ging somit die Tatherrschaft in dem Moment über, indem D in Zustand der Bewusstlosigkeit sich befand und A das Geschehen beherrscht, da sie regelmäßig nach dem Zustand der D sich erkundigte und vor Ort hätte Einfluss auf den Ablauf des Geschehens haben könnte. Sie hat als Hausärztin die Schutzpflicht für das Leben der D übernommen, und ist demnach als Beschützergarant zu qualifizieren.

Der BGH geht jedoch davon aus, dass der Suizidierende, wenn er die todbringende Handlung selbstständig und freiverantwortlich vornimmt und bis zu letzte die freie Entscheidung über sein Leben hat, er sich selbst tötet, wenn auch mit fremder Hilfe.[15]BGH NJW 3089, Rn. 13; BGH NJW 2019, 449, Rn. 18. In den Fällen, in denen der Arzt vereinbarungsgemäß nur noch dessen freiverantwortlichen Suizid begleitet, ist die Garantenstellung zu begrenzt.[16]BGH NJW 2019, 3089, Rn. 26. Da D die Tabletten beim vollen Bewusstsein einnahm, behält sie die freie Entscheidung über ihr Schicksal und tötet sich selbst.[17]Vgl. BGH NJW 3089, Rn. 14. Da A vereinbarungsgemäß mit D nur noch ihren Zustand überwacht, begleitet sie lediglich den freiverantwortlichen Suizid der D. Danach trifft A keine Garantepflicht gem. § 13 I StGB.

Für die neue Ansicht des BGH sprechen einige Gründe:

Die Patientenautonomie umfasst das Recht, Behandlungen auch zu verweigern. Dieses Recht leitet sich aus dem Selbstbestimmungsrecht als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG) ab. Aus dem Selbstbestimmungsrecht lässt sich grundsätzlich ein Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit herleiten, wovon auch der Umgang mit seinem Leben umfasst ist. Das heißt der Mensch kann eigenverantwortlich über sich selbst und sein Schicksal verfügen.[18]BVerwG NJW 2017, 2218, Rn. 24. Umfasst vom Selbstbestimmungsrecht ist daher auch, das Recht auf Krankheit des Patienten.[19]BGH NJW 2019, 3089, Rn. 29. Niemand ist einem anderen gegenüber zum Leben verpflichtet und hat ein Recht freiwillig durch eigene Hand aus dem Leben zu scheiden.[20]Kubiciel NJW 2019, 3033, 3034. Auch die herrschende Lehre entnimmt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Suizidwilligen den Anspruch, in Ruhe sterben zu können. Daher hat der Arzt oder ein Dritter den ernstlichen Wunsch nach Behandlungseinstellung zu achten und sollte in diesem Fall nicht belangt werden können.[21]Di Fabio, in: Maunz/Düring, GG, 90. EL 2020, Art. 1 Abs. 1 Rn. 205; Roxin NStZ 2016, 185, 186; Kubiciel NJW 2019, 3033, 3034.

Außerdem muss das Selbstbestimmungsrecht auch noch dann respektiert werden, wenn sich der Patient in einem eigenverantwortlichkeitsausschließendem Zustand befindet. Das gebietet die Menschenwürde. Diese Wertung kommt jedenfalls in dem Ausdruck der Patientenverfügung gem. § 1901a II BGB zur Geltung[22]BGH NJW 2019, 3089, Rn. 30. und zeigt sich in den Fällen des tödlichen Behandlungsabbruchs.[23]Kubiciel NJW 2019, 3033, 3034.

Als weiteres Argument wird die entsprechende Wertung aus dem EGMR angeführt. Aus dem Recht auf die Achtung des Privatlebens (Art. 8 EMRK), ergibt sich, dass jede Person das Recht hat, selbst zu entscheiden, wie und zu welchem Zeitpunkt sie sein Leben beenden möchte. In diesem Kontext soll das Recht aus der EMRK als Orientierung zur europakonformen Anwendung der §§ 216, 13 StGB dienen.[24]BGH NJW 2019, 3089, Rn. 31.

Diese Gründe sind gute Argumente dafür, dass der neuen Rechtsprechung des BGH gefolgt wird und aufgrund der Achtung des Selbstbestimmungsrechts der D die Garantenpflicht der A abgelehnt wird, da sie lediglich ihrem Wunsch nachkommt und in Absprache mit D, sie in ihrem Sterbeprozess begleitet.

bb) Garant aus Ingerenz

Möglicherweise könnte eine Garantenstellung aus Ingerenz begründet sein, da A die todbringenden Medikament der D verschafft, die später zur Selbsttötung von D eingenommen werden. Eine Garantenpflicht aus Ingerenz ist immer dann anzunehmen, wenn der Täter zur Überwachung einer von ihm zuvor selbst geschaffenen Gefahr verantwortlich ist.[25]Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 50 Rn. 70. Die Pflicht zur Neutralisierung einer Gefahr kann jedoch immer dann nicht angenommen werden, wenn diese Pflicht den Interessen des Betroffenen nicht entspricht und dieser mit der nachfolgenden Unterlassung einverstanden ist. In diesen Fällen besteht keine Gefahr für die Integrität der Person.[26]Kubiciel NJW 2019, 3033 (3035). D hat die Medikamente freiverantwortlich eingenommen, sodass das Risiko für die Verwirklichung der zuvor geschaffenen Gefahr durch A alleine im Verantwortungsbereich der D liegt.[27]Vgl. BGH NJW 2019, 3089, Rn. 35. Außerdem war D mit dem folgenden Unterlassen der A einverstanden und die bloße Begleitung im Sterbeprozess war ihr ausdrücklicher Wunsch und mit ihr vereinbart. Eine entsprechende Handlungspflicht der A würde dem ausdrücklichen Willen der D widersprechen. Daher scheidet auch die Garantenstellung aus Ingerenz aus.

Anmerkung
Näheres zu der Garantenpflicht aus Ingerenz siehe den Fall „Spice“.

Da A keine Garantenpflicht trifft, kann ihr kein Vorwurf wegen einer unterlassenen Handlung gemacht werden, sodass der Tatentschluss durch A nicht vorlag.

Vernetztes Lernen: Wie wäre der Fall zu beurteilen, wenn A fest davon ausginge, Garant für D zu sein, und somit glaubte, den Tatbestand der Tötung auf Verlangen durch Unterlassen erfüllen zu können?
Zu differenzieren ist in diesem Fall, ob ein strafbarer untauglicher Versuch vorliegt oder ob es sich hierbei um ein strafloses Wahndelikt handelt.
Ein untauglicher Versuch ist immer dann gegeben, wenn der Täter glaubt, einen Straftatbestand verwirklichen zu können, indem er sich zu seinen Ungunsten Tatsachen vorstellt. Jedoch könnten die Ausführungen des Täters aus tatsächlichen Gründen nicht zur Verwirklichung des Tatbestandes führen. Abzugrenzen davon ist das straflose Wahndelikt. Hier erfasst der Täter die Umstände richtig, hält sein Verhalten jedoch aufgrund einer fehlerhaften rechtlichen Wertung für strafbar.[28]Vgl. dazu Kühl, Strafecht AT, 8. Aufl. 2017, § 15 Rn. 96; Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 35 Rn. 1, Rn. 15. In unserem Fall erfasst die Ärztin A die Umstände korrekt, glaubt jedoch, Garant für ihre Patienten zu sein und demnach einen Unrechtstatbestand zu erfüllen. Hier liegt daher eine fehlerhafte rechtliche Wertung durch A vor, da A nicht zum Eingreifen verpflichtet war, sodass von einem straflosen Wahndelikt auszugehen wäre.

2. Zwischenergebnis

A hat keinen Tatentschluss gefasst, sodass der Tatbestand nicht erfüllt ist.

Vernetztes Lernen: Würde eine Garantenpflicht zu bejahen sein, was würde im unmittelbaren Ansetzen problematisiert werden?
Umstritten ist, ab wann bei einem Unterlassungsdelikt unmittelbar angesetzt wird. Vgl. hierzu die Zusatzfrage des Falls „Vergiftetes Babygläschen“.

III. Ergebnis

A hat sich nicht wegen des Versuches der Tötung auf Verlangen durch Unterlassen strafbar gemacht.

C. Strafbarkeit gem. § 323c I StGB

A könnte sich wegen unterlassener Hilfeleistung gem. § 323c I StGB strafbar gemacht haben, indem sie den Tod der D nicht durch Einleiten von Rettungsmaßnahmen versucht hat abzuwenden.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

Dafür müsste der Suizid der D ein Unglücksfall darstellen. Ein Unglücksfall ist ein plötzlich eintretendes Ereignis, das erhebliche Gefahr für Personen oder bedeutende Sachwerte mit sich bringt oder zu bringen droht.[29]Rengier, Strafrecht BT II, 21. Aufl. 2020, § 42 Rn. 3. Ob ein Suizid als ein Unglücksfall zu erfassen ist, ist umstritten.

Die Rechtsprechung wertet einen Suizidversuch als ein Unglücksfall.[30]Vgl. dazu BGHSt 32, 367 (375f.); BGH NStZ 1099, 127. Danach wäre der Suizid der D als ein Unglücksfall zu erfassen, da durch das plötzliche Ergebnis – das Einnehmen der Tabletten – die D in erhebliche Gefahr gerät.

In der Literatur wird ein Unglücksfall im Fall eines freiverantwortlichen Suizidversuches verneint, es sei denn, dass der Suizident seinen Selbsttötungsentschluss nach Versuchsbeginn ersichtlich geändert hat.[31]Dazu Heintschel-Heinegg, in Beck OK StGB, 46. Edition 2020, § 323c Rn. 12; Freund, in: MüKO StGB, AUFLAGE, § 323c Rn. 59ff. Da D den Suizidwillen freiverantwortlich gefasst hat und nach dem Versuchsbeginn keine Willensänderung erkenntlich ist, ist nach der Literatur ein Unglücksfall im Fall des Suizides der D abzulehnen.

Da beide Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist eine Stellungnahme notwendig.

Gegen die Ansicht der Literatur spricht insbesondere, dass sich der Hilfeleistende in einer für ihn unmöglichen Situation sieht: Ob der Suizidierende seinen Willen nach dem Versuchsbeginn ändert oder eben nicht, kann kaum jemand ohne psychiatrisch-psychologische Fachkenntnisse und ohne sorgfältige Abklärung der äußeren und inneren Motivationsfaktoren zulässig beurteilen. Ob dieser Umstand innerhalb von einer kurzen Zeitspanne am Unglücksort beurteilt werden kann, kann nicht das Abgrenzungskriterium einen Suizidversuch als ein Unglücksfall zu werten, darstellen.[32]BGHSt 32, 367 (376). Jedoch sollte in den Fällen eine Eingrenzung vorgenommen werden, in denen Indizien für eine übereilte oder unfreiwillige Willensbildung fehlt, sodass das Vorliegen eines Unglücksfalls zu verneinen wäre. Die Ausübung seine Grundrechts kann nicht als Unglücksfall gewertet werden. In diesen Fällen darf die gemeinschaftliche Solidarität – die in § 323c I StGB ihren Ausdruck findet – nicht aufgezwungen werden.[33]Hecker, JuS 2020, 82, 85; Kubiciel NJW 2019, 3033, 3035.

Anmerkung
Beide Ansichten sind in diesem Fall gut vertretbar, da die Rechtsprechung die Pflicht zur Hilfeleistung bei einem Suizidversuch innerhalb der Zumutbarkeit diskutiert. Der BGH lehnt in diesem Fall die Zumutbarkeit der Hilfeleistung ab, da eine Rettungshandlung sich gegen den eindeutig geäußerten Willen des Suizidenten stellen würde.[34]Vgl. BGH 2019, 3089, Rn. 37. Begründbar wäre es damit, dass die Zumutbarkeit einer Hilfeleistung immer dann abzulehnen ist, wenn sie eine Verletzung einer anderen wichtigen Pflicht darstellt.[35]Heintschel-Heinegg, in: BeckOK StGB, 46. Edition 2020, § 323c Rn. 21. Eine andere wichtige Pflicht wäre hier die Wahrnehmung ihres Rechts auf selbstbestimmtes Sterben. Würde A entgegen des ausdrücklich geäußerten Willens handeln, würde sie dieses Recht der D verletzen, womit die Zumutbarkeit abzulehnen wäre.

2. Zwischenergebnis

Da der Suizidversuch der D nicht als Unglücksfall zu werten ist, ist der Tatbestand des § 323c StGB nicht erfüllt.

II. Ergebnis

A hat sich nicht wegen einer unterlassenen Hilfeleistung gem. § 323c StGB strafbar gemacht.

D. Gesamtergebnis

A hat sich bei dem ärztlich begleiteten Suizid der D nicht wegen Tötung auf Verlangen, sowie der versuchten Tötung auf Verlangen durch Unterlassen und der unterlassenen Hilfeleistung strafbar gemacht.


Zusatzfragen

Welche Möglichkeiten der objektiven Zurechnungsunterbrechung gibt es?

a) Atypische Kausalverläufe: Wenn der Täter zwar ein lebensgefährliches Risiko setzt, der Tod jedoch aufgrund eines außergewöhnlichen unvorhersehbaren Kausalfaktors eintritt, ist die Beurteilung des Risikozusammenhangs schwierig. Der klassische Fall ist, wenn der Täter das Opfer mit Messerstichen verletzen möchte, aber aufgrund der Bluter-Krankheit der Stich am Arm zum Tod des Opfers führt. Die Vorhersehbarkeit des Erfolgseintritts muss sich auch auf den Kausalverlauf erstrecken. Umfasst von der Vorhersehbarkeit sind jedoch nicht alle Einzelheiten des Geschehens und des Kausalverlaufes. Bei der Seltenheit unvorhersehbarer wesentlicher Kausalfaktoren ist die Zurechnung zu verneinen.[36]Reniger, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 69 – 71. In der Konstellation des Bluter-Falls wäre daher die objektive Zurechnung aufgrund eines atypischen Kausalverlaufes zu verneinen.

Anmerkung: Beachte, dass der BGH in seinen Urteilen auf den atypischen Kausalverlauf und das Dazwischentreten Dritter im subjektiven Tatbestand eingeht, da er die objektive Zurechnung nicht kennt. Begründet wird die Prüfung im subjektiven Tatbestand damit, dass der Vorsatz auch die wesentlichen Geschehnisse der Kausalität umfassen muss.

b) Dazwischentreten Dritter: In der Konstellation des selbstständigen Dazwischentreten Dritter wird der zurechenbare Schaden des Ersttäters durch das Dazwischentreten eines Dritten vergrößert. Zu bestimmen ist dabei, ob die Tat noch als das Werk des Ersttäters anzuerkennen ist, oder ob der Erfolg in den Verantwortungsbereich des Dritten fällt. Dabei kann in das vorsätzliche oder fahrlässige Dazwischentreten Dritter differenziert werden. Das (i.d.R. nachträgliche) Eingriffen eines Dritten, um den Erfolg vorsätzlich herbeizuführen, wird immer dann dem Dritten zugerechnet, wenn sich im Erfolg die Ausgangsgefahr nicht mehr, aber dafür die neue Gefahr realisiert hat.[37]Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 88. Diese wird i.d.R. auch für grob fahrlässiges aktives Fehlverhalten des Dritten gelten, wenn sich dadurch eine neue Gefahr realisiert hat. Bei einem fahrlässigen Dazwischentreten Dritter, wird sich i.d.R. eine Gefahr realisieren, mit der der Täter rechnen muss und somit weiterhin in seinen Verantwortungsbereich fällt. In diesen Fällen wäre die Zurechnungsunterbrechung zu verneinen.[38]Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 95.
Beispiele dafür sind: Das Opfer kommt ins Krankenhaus und befindet sich nicht mehr in Lebensgefahr, jedoch verstirbt dieser später an einer Hauttransplantation; wenn ein Unfallverletzter mit einer falschen Blutkonserve versorgt wird oder bei einer unfallbedingten Nachoperation das Opfer aufgrund eines Narkosefehlers verstirbt.[39]Vgl. dazu Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder StGB, 30. Aufl. 2019, § 15 Rn. 169.

c) Freiverantwortliche Selbstschädigung: Der Zurechnungszusammenhang aufgrund einer freiverantwortlichen bewussten Selbstschädigung wird aufgrund der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche angenommen. Zurückzuführen ist die Unterbrechung darauf, dass die Selbsttötung an sich straflos ist und daher keinen Tatbestand der §§ 212 ff. StGB erfüllen kann. Auch die Beihilfe oder Anstiftung zur Selbsttötung bleibt aufgrund der fehlenden rechtswidrigen Haupttat straflos. Bei der mittelbaren Täterschaft kann die Selbsttötung dem Täter nur zugerechnet werden, wenn die Selbstschädigung auf einem fehlerhaften/mangelbehafteten Willen beruht.[40]Rengier, Strafrecht AT, 11. Aufl. 2019, § 13 Rn. 77.

Welche Fallgruppen der Sterbehilfe gibt es in Deutschland und wie sind diese strafrechtlich zu bewerten?
Es gibt vier Fallgruppen, die es zu unterscheiden gilt:[41]Vgl. hierzu Hecker, JuS 2020, 82, 83.

a) Aktive Sterbehilfe: Wenn durch aktives Tun eine direkte und gezielte Lebensverkürzung vorgenommen wird, ist dieses aktive Tun als vorsätzliches Tötungsdelikt gem. §§ 211, 212 StGB zu bewerten. Selbst wenn diese Tat auf dem ernstlichen und ausdrücklichen Verlangen des Getöteten erfolgt (§ 216 StGB).

b) Indirekte Sterbehilfe: Die sog. indirekte Sterbehilfe gilt als Unterfall der aktiven Sterbehilfe. Hier wird ein unheilbar kranker und schwer leidender Patient behandelt und bei dieser Behandlung die unbeabsichtigte, aber mögliche unvermeidbare Nebenfolge des Todes in Kauf genommen. Dies geschieht nur mit der (mutmaßlichen) Einwilligung des Patienten und der Arzt handelt in diesem Kontext bei Todeseintritt straflos. Formal erfüllt das Verhalten des Arztes den Tatbestand des § 216 bzw. § 212 StGB. Zur Begründung der Straflosigkeit ärztlichen Handelns werden zwei Ansätze vertreten: Die h.M. wendet § 34 StGB an und benennt die Ermöglichung eines schmerzfreien und würdevollen Todes als ein höherwertiges Rechtsgut, als ein – zumindest für kurze Zeit – längeres Leben unter Schmerzen, sodass das, durch den Arzt geschützte Interesse, das beeinträchtigte Interesse wesentlich überwiegt. Eine andere Ansicht verweist auf den Schutzzweck der verwirklichten Normen und begründet die Straflosigkeit damit, dass in diesem Fall keine eigentliche gegen das Leben gerichtete Tötungshandlung vorliegt. Denn entsprechend der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Schmerzbekämpfung oder Leidensminderungen bis hin zur terminalen Sedierung stellen keine rechtlich missbilligte Gefahr dar, sodass die Objektive Zurechnung zu verneinen wäre.[42]Vgl. dazu Rengier, Strafrecht BT II, 21. Aufl. 2020, § 7 Rn. 4.

c) Passive Sterbehilfe: Bei der passiven Sterbehilfe verzichtet der zu Behandelnde auf lebensverlängernde Maßnahmen. Die passive Sterbehilfe ist nur im Rahmen einer unheilbaren Krankheit möglich, da durch den Verzicht auf eine Behandlung die Krankheit seinen natürlichen Verlauf nimmt und der Patient verstirbt. Die Straflosigkeit der passiven Sterbehilfe beruht auf dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts des Patienten, der jede weitere Behandlung durch seinen Arzt ablehnen darf.
In diesem Kontext wurde in dem BGH Urteil vom 25.06.2010[43]BGH NJW 2010, 2963. das Rechtsinstitut des Behandlungsabbruchs entwickelt, um einem Behandlungsabbruch durch den Arzt einen Rechtfertigungsgrund zu geben und somit die Straflosigkeit zu ermöglichen. Der Behandlungsabbruch wird zwischen der aktiven und passiven Sterbehilfe verortet, da zum einen eine Behandlung abgebrochen wird und zum anderen dadurch die lebenserhaltenden Maßnahmen beendet werden, der Patient auf seine Behandlung verzichtet und somit die Krankheit seinen natürlichen Verlauf nimmt.

d) Assistierter Suizid: Die Sterbehilfe des assistierten Suizid ist insbesondere von der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) zu unterscheiden. Die Abgrenzung erfolgt über das Kriterium der Tatherrschaft. Da die Tötungsdelikte den Tod eines anderen Menschen voraussetzen, stellt die Selbsttötung keine strafbare Handlung dar. Da eine rechtswidrige Haupttat fehlt, ist i.d.R. die Teilnahme durch einen Arzt oder Dritten an der Selbsttötung straflos. Die Straflosigkeit des Suizidassistenten beruht auf dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit des Sterbewilligen für seine Rechtsgüter.

Anmerkung: In dem Kontext des assistierten Suizid sollte der für verfassungswidrig erklärte § 217 StGB beachtet werden. Das BVerfG stellt in seinem Urteil klar, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch die Freiheit einschließt, sich das Leben mit freiwilliger Hilfe Dritter zu nehmen. Die Regelung des § 217 StGB in seiner derzeitigen Form verwehrt jedoch faktisch jede Möglichkeit sich Hilfe zu Suche, sodass der Eingriff durch die Verbotsnorm in das Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben unverhältnismäßig ist.[44]Näher zu den Folgen der Kassation des § 217 StGB: Lindner, ZRP 2020, 66.


Zusammenfassung

1. Von einer ärztlichen Garantenstellung bei der Suizidbegleitung kann nicht ausgegangen werden, wenn der Arzt den Suizid in Absprache mit dem Suizidenten lediglich begleitet und das Unterlassen der Einleitung von Rettungsmaßen dem Willen des Suizidenten entspricht.

2. Die Gründe für die Begrenzung finden sich insbesondere in dem Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 2 I i.V.m Art. 1 I GG des Patient. Das Recht über das Ende seines Lebens zu entscheiden, muss auch noch nach dem Bewusstseinsverlust respektiert werden.

3. Eine objektive Zurechnung der selbstständigen Einnahme der Medikamente scheidet aus, wenn der Suizident im Vollzug des Gesamtplans die Herrschaft über das zum Tod führende Geschehen innehat.

4. Bei einem begleiteten Suizidversuch macht sich der Arzt nicht wegen einer Unterlassenen Hilfeleistung gem. § 323c StGB strafbar, da die Hilfeleistung nicht dem eindeutig geäußerten Willen des Suizidenten entspricht und somit sein Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht respektiert werden würde.

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