{"id":7648,"date":"2024-03-20T09:32:56","date_gmt":"2024-03-20T08:32:56","guid":{"rendered":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/?p=7648"},"modified":"2024-03-21T16:29:07","modified_gmt":"2024-03-21T15:29:07","slug":"anlassgeber-oder-zweckveranlasser-verbot-eines-festivals","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/anlassgeber-oder-zweckveranlasser-verbot-eines-festivals\/","title":{"rendered":"Anlassgeber oder Zweckveranlasser? – Verbot eines Festivals"},"content":{"rendered":"

VGH Kassel, Beschluss vom 07.07.2023 – 8 B 921\/23; BeckRS 2023, 16421\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

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Am 3. Januar 2024 meldete der A ein Festival, welches unter dem Namen „Eritrea-Festival“ laufen und in C stattfinden sollte, formell ordnungsgemäß an. Das Festival ist für den 30. Januar geplant. Die zuständige Ordnungsbehörde (B) sah erhebliche Bedenken gegen die Ausrichtung der Veranstaltung. Zwar sei die maximale Teilnehmerzahl von 2500 nicht zu beanstanden, jedoch sei das Sicherungskonzept für die Veranstaltungsausrichtung unzureichend. Die Ausrichtung als „Eritrea-Festival“ würde eine ganze Welle von gewaltbereiten Personen anziehen. Die Erfahrungen hätte die Stadt C und die B im Sommer 2023 schmerzlich erfahren müssen. Im Juli 2023 wurde ein Konzert einer eritreischen Band, die sich auf Europatournee befand, angemeldet. Veranstalter war das eritreische Konsulat. Unmittelbar im Vorfeld des Konzerts, bei welchem auch ein umstrittener Künstler auftreten sollte, kam es zu einem brutalen und organisierten Überfall durch gewalttätige Angreifer. Etwa 100 Personen drangen dabei gewaltsam auf das Messegelände vor, attackierten Aufbauhelfer und Polizisten und verletzten insgesamt 32 Menschen. Das Konzert wurde daraufhin von der Polizei frühzeitig abgebrochen. Daraufhin erklärte die B, dass ohne hinreichendes Sicherheitskonzept keine derartige Veranstaltung mehr stattfinden könne. Daraufhin kam es zu einem gemeinsamen Gespräch zwischen dem A und der B, wobei der A auch bezüglich eines anstehenden Veranstaltungsverbots angehört wurde.\n\n\n\n

Dagegen wendet der A ein, dass bei seinem Festival keine kritischen Künstler auftreten würden und er als seitliche Begrenzung Zäune aufstelle, um einen ungehinderten Besucheransturm zu verhindern. Die B sah dies schon im Gespräch als nicht ausreichend an, zumal sich immer mehr aggressives Verhalten gegen die Veranstaltung im Internet abzeichne. Dem könne nur mit personalisierten Tickets entgegengewirkt werden.\n\n\n\n

Zwei Wochen vor Veranstaltungsbeginn untersagte die B dem A die Ausrichtung der Veranstaltung und ordnete die sofortige Vollziehung des Veranstaltungsverbots an. Zur Begründung rekurrierte die B im Wesentlichen auf die angekündigten Ausschreitungen im Internet. In den sozialen Medien seien zunehmend Aufrufe gegen die geplante Veranstaltung festzustellen. Durch verschiedene Personen seien insbesondere TikTok-Videos verbreitet worden, die konkrete Drohungen gegen die Veranstaltung und deren Besucher enthielten. Des Weiteren würden auch direkte Drohungen gegen die Polizei ausgesprochen. Als treibende Gruppierung hinter den Mobilisierungsversuchen sei die Gruppierung D festgestellt worden, die bei den Ausschreitungen vom Juli 2023 maßgeblich beteiligt gewesen sei und zu Gewalt aufrufe, um das kommende Festival zu verhindern. Mehrere Kommentare und Videos zeigten, dass die Gruppierung nichts von gewaltfreien Protesten hielte, sondern gezielt zur Gewalt aufriefe. Auch sei schon jetzt eine höhere Beteiligung der gewaltbereiten Gegner als im Juli 2023 zu erkennen. Die sofortige Vollziehung sei zudem geboten, da die Gefahr nicht anders abgewendet werden könne. \n\n\n\n

Bis zur Veranstaltung seien es nur noch zwei Wochen. Ohne die sofortige Vollziehung stünden bei einer aufschiebenden Klage die Veranstaltungsteilnehmer den gewaltbereiten Personen schutzlos gegenüber.\n\n\n\n

Gegen die sofortige Vollziehbarkeit der Anordnung legte der A am 21. Januar einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz und eine Klage in der Hauptsache beim zuständigen Verwaltungsgericht ein. Der A ist der Ansicht, dass er nicht für das gewaltbereite Verhalten Dritter verantwortlich gemacht werden kann. Auch wenn eine Gefahr von der Gruppe D ausgehen sollte, so müssten die Polizei und die Ordnungsbehörden für die Einhaltung der Sicherheit sorgen. Dies wäre auch im Gegensatz zu dem immer wieder herangezogenen Konzert aus dem Juli 2023 auch möglich, da keine Parallelveranstaltungen stattfinden, die die Kapazitäten binden würden. Ohnehin seien die Veranstaltungen nicht vergleichbar, da ein hinreichendes Sicherheitskonzept bestünde. Insbesondere die Seitenbegrenzungen würden für eine kontrollierte Veranstaltung sorgen. Auch sei die sofortige Vollziehung formell schon rechtswidrig. Zwar erging die Veranstaltungsuntersagung wohl formell rechtmäßig, jedoch könne die Behörde nicht einfach so die sofortige Vollziehung anordnen ohne den A nochmals anzuhören.\n\n\n\n

Hat der Antrag des A auf einstweiligen Rechtsschutz Aussicht auf Erfolg?\n\n\n\n

§ 11 HSOG – Allgemeine Befugnisse\n\n\n\n

Die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden können die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die folgenden Vorschriften die Befugnisse der Gefahrenabwehr- und der Polizeibehörden besonders regeln.\n\n\n\n

§ 6 HSOG – Verantwortlichkeit für das Verhalten von Personen\n\n\n\n

(1) Verursacht eine Person eine Gefahr, so sind die Maßnahmen gegen diese Person zu richten.\n\n\n\n

(2) 1Ist die Person noch nicht vierzehn Jahre alt, so können die Maßnahmen auch gegen die Person gerichtet werden, die zur Aufsicht über sie verpflichtet ist. 2Ist für die Person eine Betreuerin oder ein Betreuer bestellt, so können die Maßnahmen auch gegen die Betreuerin oder den Betreuer im Rahmen des jeweiligen Aufgabenkreises gerichtet werden.\n\n\n\n

(3) Verursacht eine Person, die zu einer Verrichtung bestellt ist, die Gefahr in Ausführung der Verrichtung, so können Maßnahmen auch gegen diejenige Person gerichtet werden, die die andere Person zu der Verrichtung bestellt hat.\n\n\n\n

§ 7 HSOG – Verantwortlichkeit für den Zustand von Tieren und Sachen\n\n\n\n

(1) 1Geht von einem Tier oder einer Sache eine Gefahr aus, so sind die Maßnahmen gegen die Inhaberin oder den Inhaber der tatsächlichen Gewalt zu richten. 2Die nachfolgenden für Sachen geltenden Vorschriften sind auch auf Tiere anzuwenden.\n\n\n\n

(2) 1Maßnahmen können auch gegen die Eigentümerin oder den Eigentümer oder eine andere berechtigte Person gerichtet werden. 2Dies gilt nicht, wenn die Inhaberin oder der Inhaber der tatsächlichen Gewalt diese ohne den Willen der Eigentümerin oder des Eigentümers oder der berechtigten Person ausübt.\n\n\n\n

(3) Geht die Gefahr von einer herrenlosen Sache aus, so können die Maßnahmen gegen diejenige Person gerichtet werden, die das Eigentum an der Sache aufgegeben hat.\n\n\n\n

§ 9 HSOG – Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen\n\n\n\n

(1) Die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden können Maßnahmen gegen andere Personen als die nach den §§ 6 oder 7 Verantwortlichen richten, wenn\n\n\n\n

1. eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren ist,\n\n\n\n

2.Maßnahmen gegen die nach §§ 6 oder 7 Verantwortlichen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen,\n\n\n\n

3.die Gefahrenabwehr- oder die Polizeibehörden die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch beauftragte Dritte abwehren und\n\n\n\n

4.die Personen ohne erhebliche eigene Gefährdung und ohne Verletzung höherwertiger Pflichten in Anspruch genommen werden können.\n\n\n\n

(2) Die Maßnahmen nach Abs. 1 dürfen nur aufrechterhalten werden, solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weise möglich ist.\n\n\n\n


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Sachverhalt als PDF\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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Der Antrag des A hat Aussicht auf Erfolg, wenn dieser zulässig und soweit er begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit\n\n\n\n

Zunächst müsste der Antrag des A zulässig sein.\n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs \n\n\n\n

Der Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein. Da keine aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt, müsste es sich nach § 40 I 1 VwGO bei dem zugrundeliegenden Sachverhalt um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art handeln und es dürfte keine abdrängende Sonderzuweisung vorliegen. \n\n\n\n

Eine Streitigkeit ist nach der modifizierten Subjektstheorie öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind, also einen Hoheitsträger berechtigen oder verpflichten.[1]Reimer, in: BeckOK VwGO, 61. Ed. 01.04.2022, § 40 Rn. 45.4.