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Süßes für Saures

BGH, Urteil vom 13.09.2023 – 5 StR 200/23, NJW 2024, 604

Sachverhalt

Die Mutter M des S lebte aus Angst vor sexuellen Übergriffen ihres Ehemanns und Vaters der Kinder in einem Frauenhaus. Der Bruder des Ehemanns, der T holte den 11-jährigen S beim Vater ab und forderte ihn auf die M zu töten. Nachdem der S vom T zurück ins Frauenhaus gebracht werden sollte, solle er sie mit einem scharfen Messer erstechen, „weil sie schlimme Dinge getan habe“. Auf seinem Handy zeigte der T dem S eine Videoaufnahme, auf der ein Mann eine andere Person erstach. Weitere Vorgaben erfolgten nicht, vielmehr sollte S sie „eigenmächtig zu einer von ihm selbst bestimmten Zeit begehen“. Zudem erklärte T dem S, dass dieser noch klein sei und anders als der T daher nicht bestraft werden und ins Gefängnis kommen könne. Er versprach dem S außerdem Süßigkeiten, die Rückgabe von weggenommenen Spielsachen und den Kauf eines Motorrades. S ging darauf zum Schein ein. Da M das Frauenhaus mit unbekanntem Aufenthalt verlassen hatte, scheiterte das Vorhaben. Später vertraute sich S der M an.

Strafbarkeit von T?      


Skizze

Gutachten

A. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 I Alt. 2 StGB

T könnte sich des versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 I Alt. 2 StGB schuldig gemacht haben, indem er dem S sagt, dass er seine Mutter erstechen sollte.

I. Vorprüfung

Die Tötung der M ist nicht vollendet. Der Versuch des Totschlags ist gem. § 23 I StGB strafbar, weil es sich um ein Verbrechen (§ 12 StGB) handelt.

II. Tatbestand

1. Tatentschluss

a) Bzgl. des Todes

Zunächst hatte der T Tatentschluss hinsichtlich des Todes der M.

b) Bzgl. der Begehung als mittelbarer Täter

Darüber hinaus müsste er auch einen Tatentschluss hinsichtlich der Begehung in mittelbarer Täterschaft aufweisen. 

aa) Strafbarkeitsdefizit des Vordermannes

Dafür müsste er sich zunächst vorgestellt haben, dass der Vordermann, der S mit einem Strafbarkeitsdefizit handeln würde. Nach der Vorstellung des T würde der S gem. § 19 StGB ohne Schuld handeln, da der 11-jährige S noch nicht strafmündig ist.

bb) Beherrschung durch den Hintermann

Die entscheidende Frage lautet, ob dem T nach seiner Vorstellung auch die Tatherrschaft zufällt. Das ist dann der Fall, wenn er das Geschehen lenkend in den Händen hält. Anhand dieses Kriteriums vollzieht sich zugleich die Abgrenzung von der Anstiftung, die aufgrund der vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat (limitierte Akzessorietät) ebenfalls in Betracht kommt. Sollte der T aber tatherrschaftlich handeln, so würde die schwächere Beteiligungsform der Anstiftung verdrängt werden. 

Zum Teil wird vertreten, dass im Falle der Einschaltung eines Minderjährigen dem Hintermann stets eine Tatherrschaft zufällt. Es ergebe sich aus der normativen Wertung des § 19 StGB selbst, dass dem Hintermann unabhängig vom Einzelfall eine rechtliche Tatherrschaft zukommt.[1]Kudlich, in: BeckOK-StGB, § 25 Rn. 27.1 m.w.N. Nach dieser Auffassung kommt dem T nach seiner Vorstellung von der Tat die Tatherrschaft gegenüber dem S zu und er hat damit einen Tatentschluss hinsichtlich der Begehung der Tötung in mittelbarer Täterschaft.

Nach anderer Auffassung ist die Tatherrschaft faktisch anhand der Umstände des Einzelfalles zu bestimmen.[2]BGH NJW 2024, 604, 605 f. Es sei bei einer Gesamtbewertung zu ermitteln, ob der Hintermann das Geschehen tatsächlich steuernd beherrsche. Entscheidendes Gewicht soll im Rahmen dieser Bewertung der Frage zukommen, ob das Kind nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und eben dieser Einsicht entsprechend zu handeln.[3]BGH NJW 2024, 604, 605. Die absolute Schuldunfähigkeit des Kindes gem. § 19 StGB sei nicht mehr als ein widerlegliches Indiz.[4]BGH NJW 2024, 604, 605. Nach einer Betrachtung im Einzelfall lässt sich für eine Widerlegung des Indizes anführen, dass der T den S sogar über das Unrecht der Tat aufklärt, indem er ihn darauf hinweist, dass zwar nicht der S, aber sehr wohl der T für die Tötung der M bestraft werden könnte. Außerdem spreche schon das fortgeschrittene Alter und die Nähe zur Grenze der Strafmündigkeit für eine Einsichtsfähigkeit des S, weshalb nach dieser Ansicht eine Tatherrschaft abzulehnen wäre.

Anmerkung: Die Auffassung des BGH und seine Subsumtion
Der BGH folgt in seiner Entscheidung der zweiten, an einer faktischen Herrschaft orientierten Auffassung. Bemerkenswert ist, dass er hier eine solche Herrschaft vor allem mit der vollständigen Aufklärung des Kindes über den Unrechtsgehalt begründet. Darin aber liegt letztlich eine Verkürzung dessen, was für die mittelbare Täterschaft relevant werden kann. Denn die Einsichtsfähigkeit muss nicht der einzige Grund für ein vom Hintermann möglicherweise auszunutzendes Strafbarkeitsdefizit sein. Vielmehr lässt sich auch auf eine verminderte Steuerungsfähigkeit abstellen, die – blickt man auf die Dogmatik des § 3 JGG – auch durch eine besondere soziale Konfliktsituation hergestellt werden kann, in der sich auch der Strafunmündige in dem zu entscheidenden Falle befand.[5]Franzke, JZ 2024, 204, 207 f. Vorsicht ist dabei geboten, von einer Einsichtsfähigkeit unmittelbar auf die Steuerungsfähigkeit zu schließen.[6]Franzke, JZ 2024, 204, 207; verkürzend auch tendenziell Penkuhn, NStZ 2024, 153. Ebenso zweifelhaft wäre es, wenn man die Steuerungsfähigkeit vom Ergebnis her, nämlich von der unterlassenen Tötung der Mutter ausgehend, argumentieren würde. In der Versuchskonstellation kann es nämlich alleine auf die Einschätzung des T ankommen, der die Verwirklichung der Tat ja gerade für möglich hält.[7]Franzke, JZ 2024, 204, 208. Daher könnte man sogar auf der Grundlage der faktisch orientierten Lösung Zweifel daran hegen, dass dem T keine Tatherrschaft zufallen soll. Schon aus didaktischen und klausurtaktischen wird sich hier aber der Subsumtion des BGH angeschlossen.

Da beide Auffassungen vorliegend zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist eine Stellungnahme von Nöten.

Für eine faktische Bestimmung im Einzelfall wird angeführt, dass ansonsten eine Anstiftung des Kindes nicht denkbar wäre, aber von einer Möglichkeit sowohl von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft auszugehen sei. Dafür spreche insbesondere die Aufgabe des Prinzips der strengen Akzessorietät zu Gunsten der limitierten Akzessorietät, die keine Schuld des Haupttäters, sondern nur die Vorsätzlichkeit und Rechtswidrigkeit für eine Teilnahmefähigkeit voraussetzen. Diese Entscheidung könne eben nicht mit zuvor vermeintlich bestehenden Strafbarkeitslücken erklärt werden, weil bereits zuvor eine mittelbare Täterschaft für schuldunfähige Tatmittler (insbesondere Geisteskranke) anerkannt war. Der Wechsel von einem strengen Akzessorietäts- zu einem limitierten Akzessorietätsprinzip könne also nur vor dem Hintergrund erklärt werden, dass die Veranlassung eines Schuldunfähigen zur Tat auch einer Anstiftung zugeordnet werden können müsste.[8]BGH NJW 2024, 604, 606. Vier weitere Argumente werden für eine faktische Bestimmung angeführt: Erstens lasse sich den Gesetzesmaterialen zu § 19 StGB keine Aussage dazu entnehmen, wie sich die absolute Schuldunfähigkeit des Minderjährigen für den Hintermann auswirkt.[9]BGH NJW 2024, 604, 606; Penkuhn, NStZ 2024, 153. Zweitens zeige § 3 JGG, dass eine Prüfung des „Reif-Genug-Seins“ im Einzelfall durchaus durchführbar sei.[10]BGH NJW 2024, 604, 606. Drittens zeige die immer wieder geführte Diskussion um die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters, dass die die mit § 19 StGB vom Gesetzgeber vorgenommene Abgrenzung des Einsichtsfähigen von dem nicht Einsichtsfähigen bloß Ergebnis einer Setzung ist, die durchaus veränderlich ist. Argumentiert wird, dass eine solch kriminalpolitisch motivierte Setzung keinen Einfluss auf die Bewertung der Verantwortlichkeit des Hintermannes haben dürfte.[11]Penkuhn, NStZ 2024, 153, 154. Viertens sei es in der Rechtsprechung auch bekannt, von einem strengen Verantwortlichkeitsprinzip, bei dem die Verantwortungssphären von Vorder- und Hintermann nahtlos abgegrenzt werden könnten, Ausnahmen zu machen. Zeugnis davon legen die Konstellationen des „Täters hinter dem Täter“ ab, bei dem eine Verantwortlichkeit des Hintermannes nicht dadurch ausgeschlossen sei, dass der Vordermann kein deliktisches Defizit aufweise.[12]BGH NJW 2024, 604, 606.

Zunächst einmal lässt sich jedoch für eine normative Bestimmung der Tatherrschaft entlang der Grenze des § 19 StGB anführen, dass damit eine rechtssichere Lösung geschaffen wird.[13]Schünemann/Greco, in: LK-StGB, § 25 Rn. 135. Ob sodann das Schweigen des Gesetzgebers zu Konsequenzen des § 19 StGB für die Verantwortlichkeit des Hintermannes tatsächlich gegen eine normative Abgrenzung sprechen mag, ist zu bezweifeln.[14]Kudlich/Bhatti, JR 2024, aop, 5, 7. Auch der Verweis auf die Möglichkeit einer individuellen Reifefeststellung im Einzelfalle bei § 3 JGG, kann gegen die faktisch orientierte Lösung gerichtet werden: Denn aus § 3 JGG im Vergleich zu § 19 StGB lässt sich gerade ein wertungsmäßiger Unterschied ableiten, wonach eine solche Feststellung bei Strafunmündigen nicht vorgenommen werden sollte.[15]Kudlich/Bhatti, JR 2024, aop, 5, 7. Dem als erstes genannten Argument für ein faktisches Verständnis, nämlich dass eine Anstiftung neben der mittelbaren Täterschaft denkbar sein muss, lässt sich entgegnen, dass es zwar im allgemeinen richtig ist, aber zum einen eine Anstiftung allgemein vorliegen, sodann aber im Wege der materiellen Subsidiarität verdrängt werden kann. Zum anderen ließe sich argumentieren, dass die allgemeine Erkenntnis nicht zwingend den Weg für die Veranlassung des Strafunmündigen vorzeichnen muss, sondern weitere Bereiche (etwa den des § 20 StGB betreffen könnte, wenn man § 19 StGB eine normative Wertung für die Tatherrschaft entnimmt.[16]Kudlich/Bhatti, JR 2024, aop, 5, 8. Letztlich wird auch für ein normatives Tatherrschaftsverständnis angeführt, dass es mit § 19 StGB Ziel des Gesetzgebers gewesen sei, den Minderjährigen vor der Beurteilung seiner Reife und damit den Belastungen eines Strafverfahrens zu befreien. Da bei einem faktischen Verständnis eine tatrichterliche Abgrenzung von Anstiftung und mittelbarer Täterschaft für den Hintermann notwendig wird, müsste das Kind letztlich doch in das Strafverfahren einbezogen werden, auch wenn es nicht gegen das Kind gerichtet ist.[17]Franzke, JZ 2024, 204, 207. Die Argumente für eine normative Abgrenzung der Verantwortungssphären überzeugen, sodass von einem Tatentschluss zu einer Beherrschung des S auszugehen ist.

2. Unmittelbares Ansetzen

T müsste zur Tat auch unmittelbar angesetzt haben. Ein unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht´s los“ überschreitet und objektiv – nach seinem Tatplan – keine wesentlichen Zwischenakte mehr notwendig sind, um zur Tatbestandserfüllung zu führen. Bei dem vorliegenden Fall handelt es sich indessen um die Konstellation einer mittelbaren Täterschaft, bei der der Zeitpunkt der Versuchsbeginns umstritten ist. Nach der Gesamtlösung ist wie bei der Mittäterschaft der Täter mit dem Werkzeug zu einer Einheit verbunden, sodass der Versuch erst dann beginnt, wenn das Werkzeug selbst die Schwelle des § 22 StGB überschreitet.[18]Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 20 Rn. 90 ff. m.w.N. Nach der (weiten) Einzellösung soll es auf das Verhalten des Hintermannes ankommen und der Versuchsbeginn daher in dem Moment liegen, in dem er auf das Tatwerkzeug einwirkt.[19]Dazu Puppe, in: FS Dahs, 2005, 173 ff. Die Rspr. und h.M. vertreten mit unterschiedlichen Abstufungen eine vermittelnde Ansicht, die von einer Einzellösung ausgeht. Es wird aber gefordert, dass der auf das Werkzeug einwirkende Hintermann das Werkzeug aus seiner Sphäre entlässt, er also den Geschehensverlauf aus der Hand gibt.[20]Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2019, Rn. 751 m.w.N. Eine weitere Einschränkung soll dadurch erreicht werden, dass in Fällen, in denen aus Sicht des Täters eine Schädigung des Opfers nicht alsbald nach „Losschicken“ sondern erst in zeitlicher Distanz erwartet wird, der Versuchsbeginn erst im Zeitpunkt der konkreten Gefährdung des Opfers liegt.[21]Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, 49. Aufl. 2019, Rn. 969 ff. m.w.N. Für die Gesamtlösung wird vorgebracht, dass der mittelbare Täter im Versuch nicht enger haften dürfe als der Anstifter, der streng akzessorisch mit der Haupttat in den Versuch eintritt. Dagegen kann aber eingewandt werden, dass der mittelbare Täter gerade im Unterschied zum Anstifter die Tatherrschaft durch die Einflussnahme auf das Werkzeug innehat und deshalb eine strengere Haftung angemessen ist.[22]Dazu Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 36 Rn. 5 f. Gegen die (weite) Einzellösung spricht eine erhebliche Vorverlagerung der Strafbarkeit auch in den von der Rechtsgutsgefährdung entfernten Bereich. Daher ist der vermittelnden Ansicht zu folgen.

Vernetztes Lernen: In welchen Fällen lässt sich die vermittelnde Ansicht noch Nutzen?
1. Unmittelbares Ansetzen in den Fallen-Fällen: Hier handelt es sich um Sonderfälle der mittelbaren Täterschaft, bei denen das Opfer selbst das Tatwerkzeug gegen sich ist.
2. Unmittelbares Ansetzen beim Unterlassen

Da der T dem S überließ, wann er die M im Frauenhaus tötet, sieht er keine unmittelbare Durchführung des Tatplans vor. Vielmehr hält er es auch für möglich, dass bis zur Tötung einige Zeit verstreicht. Daher kommt es nach der vermittelnden Ansicht auf die konkrete Gefährdung der Rechtgüter der M an. Da der S nur zum Schein dem Ansinnen des T zustimmt und die M im Frauenhaus zunächst gar nicht antrifft fehlt es an einer solchen Gefährdung und damit an einem unmittelbaren Ansetzen.[23]So auch BGH NJW 2024, 604, 607. 

Anmerkung: Andere Ansicht
Eine andere Ansicht wäre mit entsprechender Begründung vertretbar. Bedenke, dass das unmittelbare Ansetzen bei der mittelbaren Täterschaft einen verhältnismäßig breiten Argumentationsspielraum hinterlässt.

II. Ergebnis

T hat sich nicht gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 I Alt. 2 StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit gem. §§ 30 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 212 Abs. 1 StGB 

T könnte sich jedoch durch gleiches Verhalten der versuchten Anstiftung zum Totschlag gem. §§ 30 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung

Die Anstiftung zum Totschlag ist nicht vollendet, weil der S die M nicht getötet hat. Die versuchte Anstiftung ist mit Strafe bedroht, weil der Totschlag ein Verbrechen ist.

II. Tatbestand

1. Tatentschluss

a) Bzgl. der vorsätzlichen und rechtswidrigen Haupttat

T stellt sich vor, dass der S die M tötet. Dass er davon ausgeht, dass S schuldunfähig ist, ist unschädlich, weil nur der Tatentschluss hinsichtlich der Vorsätzlichkeit und Rechtswidrigkeit erforderlich ist (limitierte Akzessorietät). 

b) Bzgl. des Bestimmens

T müsste auch Tatentschluss hinsichtlich des Bestimmens gehabt haben. Bestimmen ist das Hervorrufen eines Tatentschlusses. Eben das wollte der T als er dem S aufgetragen hat, die M zu erstechen und ihn mit der Rückgabe von Spielsachen, der Gabe von Süßigkeiten und dem Kauf eines Motorrads überzeugen wollte. Fraglich ist allein, wie es sich auswirkt, dass sein Tatentschluss sich gerade auf die herrschaftliche und nicht die herrschaftslose Veranlassung der Tat bezieht. Diskutiert wird nämlich, um der Vorsatz zur mittelbaren Täterschaft den Vorsatz zur Anstiftung als ein „Minus“ beinhalten kann oder ob es sich vielmehr um ein exklusives „aliud“ handelt. Diese Frage ist aber vor allem dort relevant, wo sich der Hintermann ein unvorsätzliches Tatwerkzeug vorstellt, da die Anstiftung eine vorsätzliche und rechtswidrige Haupttat erfordert. Hier hingegen besteht ein Abweichen nur hinsichtlich der Herrschaft über die Tatausübung, sodass der so gebildete Tatentschluss einen Tatentschluss zum Bestimmen nicht ausschließt. Vielmehr spricht es gerade für einen Bestimmensvorsatz, dass die Anstiftung materiell subsidiär zur mittelbaren Täterschaft ist und der S tatsächlich zur Tat motiviert werden sollte.[24]Dazu Kudlich/Bhatti, JR 2024, aop, 5, 9. Mithin liegt ein Tatentschluss hinsichtlich des Bestimmens vor.

2. Unmittelbares Ansetzen

T müsste auch zur Anstiftung unmittelbar angesetzt haben. Indem er dem S gesagt hat, er solle die M mit einem Messer erstechen hat er die „Schwelle zum jetzt gehts los“ hinsichtlich der Veranlassung überschritten und zur Begründung der Tatmotivation beim S braucht es keine wesentlichen Zwischenschritte mehr. Daher hat T unmittelbar zur Anstiftung angesetzt.

Vernetztes Lernen: Entsteht hier ein Wertungswiderspruch zur Ablehnung des unmittelbaren Ansetzens bei der mittelbaren Täterschaft?
Auf diesen Gedanken könnte man kommen, weil das unmittelbare Ansetzen typischerweise die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten markiert. Wenn nun das unmittelbare Ansetzen bei der mittelbaren Täterschaft auf Grundlage der vermittelnden Lösung verneint wird, dann mag man auch erste Zweifel daran hegen, dass diese Grenze bei der versuchten Anstiftung anders zu ziehen ist. Letztlich gilt es aber zu beachten, dass die mittelbare Täterschaft eben ein Mehr an Einfluss voraussetzt, was sich in den Anforderungen an das unmittelbare Ansetzen spiegelt. Dieser Einfluss fehlt dem T gerade in unserem Fall, wenn er den S entlässt und es nicht alsbald zur Schädigung der M kommen soll. Eine unterschiedliche Bewertung des unmittelbaren Ansetzens ist daher nicht wertungswidersprüchlich.[25]Vgl. dazu Kudlich/Bhatti, JR 2024, aop, 5, 10.

III. Rechtswidrigkeit und Schuld

T handelt rechtswidrig und schuldhaft.

IV. Ergebnis

T hat sich gem. §§ 30 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

Zusatzfragen

Vom Täter hinter dem Täter wird in Konstellationen gesprochen, in denen eine mittelbare Täterschaft trotz Fehlens eines Strafbarkeitsdefizits beim Vordermann vorliegen soll. Sie alle sind Ausnahmen vom Verantwortungsprinzip. Diskutierte Fallgruppen sind:
– Die Erregung des vermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 StGB) beim Vordermann
– Die Ausübung von Zwang unterhalb der Schwelle des § 35 StGB
– Fälle der verminderten Schuldfähigkeit beim Vordermann
– Der Irrtum über den konkreten Handlungssinn beim Vordermann
– Die Organisationsherrschaft
2. T weiß davon, dass S den X erschießen will. In der Tatnacht positioniert T den verhassten Y so, dass S den Y für X hält, auf ihn schießt und so tötet. Strafbarkeit von S und T?
Es handelt sich um die Konstellation eines manipulierten error in persona. S macht sich des Totschlags zu Lasten des Y strafbar, weil der Irrtum über dessen Identität unbeachtlich ist. S individualisiert den Y nämlich sinnlich und erfasst zutreffend, dass es sich um einen Menschen, also ein taugliches Tatobjekt i.S.v. § 212 StGB handelt. Fraglich ist aber, wie sich der T strafbar macht. Eine Anstiftung scheidet zum einen mangels kommunikativer Beeinflussung und zum anderen aufgrund dem bereits bestehenden Tatentschluss aus. Jedenfalls könnte man von einer Beihilfe ausgehen, weil der T die Tat des S maßgeblich fördert. In Betracht kommt aber auch eine mittelbare Täterschaft. Zwar fehlt es an einem Strafbarkeitsdefizit auf Seiten des S; der Identitätsirrtum ist gerade unbeachtlich für seinen Vorsatz. Jedoch täuscht der S über den konkreten Handlungssinn seiner Tat. Zu fragen ist daher, ob es sich um eine Konstellation des Täters hinter dem Täter handelt, bei dem eine Ausnahme vom Verantwortungsprinzip gemacht wird. Dafür spricht, dass dem T tatsächlich überlegenes Wissen i.S.e. Irrtumsherrschaft zukommt; er beherrscht die Tötung in ihrer Individualität. Er nutzt die unbedingte Tatentschlossenheit des S aus und lenkt zu der Tat in ihren Einzelheiten. Daher ist es vorzugswürdig den manipulierten error in persona als eine Konstellation des Täters hinter dem Täter zu begreifen.[26]Zum Problem instruktiv auch Zivanic, JA 2023, 199 ff.

Zusammenfassung

1. Bei der Veranlassung eines schuldunfähigen Kindes ist die Anstiftung von einer mittelbaren Täterschaft abzugrenzen. Es ist zu diskutieren, ob die Herrschaft des Hintermannes aus normativen Gründen stets anzunehmen ist (vorzugswürdig) oder ob auf Grundlage einer Einzelfallbetrachtung dem § 19 StGB lediglich ein widerlegliches Indiz zu entnehmen ist, das einer Überprüfung der Reife des Kindes im Einzelfalle aber nicht entgegensteht. 

2. Das unmittelbare Ansetzen bei der Anstiftung und der mittelbaren Täterschaft wird unterschiedlich beurteilt. Während bei ersterem die kommunikative Einwirkung auf den Vordermann ausreicht, um die Versuchsschwelle zu übertreten, setzt zweiteres nach der überwiegenden Auffassung voraus, dass nach der Entlassung des Vordermannes alsbald mit einer Durchführung der Tat zu rechnen ist. Wenn das nicht der Fall ist, so liegt ein unmittelbares Ansetzen erst dann vor, wenn sich die Gefahr für die Rechtsgüter des Opfers verdichtet.

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