highlight_off
Gefangenenvergütung

BVerfG, Urteil vom 20.06.2023 – 2 BvR 166/16 und 2 BvR 1683/17, NJW 2023, 2405

Sachverhalt

(Gekürzt und abgewandelt)

12 von 16 Bundesländern sehen eine Arbeitspflicht für Strafgefangene im Vollzug vor. Die Vergütung in Bundesland B ist gesetzlich zwischen 1,37 und 2,30€ pro Stunde festgesetzt. Außerdem können den Strafgefangenen nach diesem Gesetz bei geleisteter Arbeit auch nicht-monetäre Vergütungen gewährt werden – so werden bis zu acht Freistellungstage im Jahr vorgesehen, die unter bestimmten, eng geregelten Voraussetzungen auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden und die zu vollstreckende Freiheitsstrafe entsprechend verkürzen können. 

Der Strafgefangene A arbeitet freiwillig in einer eigens vom Strafvollzug betriebenen Druckerei in B. Dort hatte der Beschwerdeführer erfolglos eine Erhöhung der Vergütung beantragt. Der Druckereibeitrieb bezahle die JVA mit über 11€ für jede geleistete Stunde, die ein Gefangener ableistet, während er nur einen Bruchteil des Geldes bekäme. A argumentiert, dass die niedrige Vergütung seine Möglichkeit zur Wiedereingliederung erheblich beeinträchtigte – die Vergütung sei nicht einmal ausreichend, um Schulden, wie z.B. die entstandenen Gerichtskosten oder Unterhaltszahlungen, abzutragen. Zumal die Vergütung seit 2001 im Wesentlichen unverändert geblieben ist, während die finanziellen Belastungen für Gefangene beispielsweise durch generelle Preissteigerungen erheblich zugenommen habe. Der Gesetzgeber müsse ein widerspruchsfreies und schlüssiges Resozialisierungskonzept entwickeln und dürfe dies nicht den JVAen überlassen. 

B entgegnet, dass eine Erhöhung der Vergütung resozialisierungsfeindlich wirken könnte: Wäre die Vergütung zu hoch, könnte die daraus folgende mangelnde Wettbewerbsfähigkeit die Betriebe gefährden, sodass es letztendlich zum Wegfall von Arbeitsplätzen für Gefangene käme. Schon jetzt würden die Betriebe bezuschusst, da die Produktivität der Gefangenenarbeit weit hinter der vergleichbaren gewerblichen Wirtschaft zurückbleibe. Außerdem könne die Vergütung auch „nicht monetär“ erfolgen.

Nachdem A ebenso erfolglos versucht hat einfachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, wendet er sich nun frist- und formgerecht an das Bundesverfassungsgericht.

Mit Erfolg?   


Skizze

Gutachten

Die Beschwerde des A vor dem BVerfG hat Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit

I. Zuständigkeit des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG für Individualverfassungsbeschwerden zuständig. 

II. Beschwerdefähigkeit

Gem. § 90 Abs. 1 BVerfGG ist „jedermann“ und somit auch A als natürliche Personen beschwerdefähig. 

III. Beschwerdegegenstand

Beschwerdegegenstand kann jeder Akt der öffentlichen Gewalt sein. Hier hat A bereits versucht sich einfachgerichtlich gegen die ablehnende Entscheidung zu wenden. Somit ist der Beschwerdegegenstand das letztinstanzliche Urteil.

IV. Beschwerdebefugnis

Der Beschwerdeführer müsste hinreichend geltend machen, dass er durch diese Entscheidung in seinen Grundrechten verletzt worden ist. 

1. Möglichkeit der Grundrechtsverletzung

Eine Grundrechtsverletzung müsste möglich sein. Hier ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass A durch die Entscheidung in seinem Grundrecht aus Art. 12 III GG und seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt ist.

2. Betroffenheit

A müsste auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. Dies ist bei Urteilsverfassungsbeschwerden regelmäßig der Fall.

V. Rechtswegerschöpfung

Die Verfassungsbeschwerde müsste dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung aus § 90 Abs. 2 BVerfGG sowie der Subsidiarität gerecht werden. Laut Sachverhalt hat A den Rechtsweg erschöpft. Hinsichtlich der Subsidiarität liegen keine Bedenken vor.

VI. Form- und fristgerechte Erhebung

Die Verfassungsbeschwerde wurde auch form- und fristgerecht i.S.d. §§ 23, 93 BVerfGG eingereicht.

VII. Zwischenergebnis

Die Verfassungsbeschwerde des A ist daher zulässig. 

II. Begründetheit

Die Beschwerde ist begründet, wenn und soweit rechtswidrig in As Grundrechte eingegriffen worden ist.

I. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts

1. Schutzbereich

Die Regelung könnte in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) eingreifen. Das APR schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit und deren Grundbedingungen im Rahmen der engeren Lebenssphäre. In diesem Rahmen wurden von der Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen entwickelt. Darunter fällt auch das Resozialisierungsgebot. Die Verfassung gebietet, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung der Gefangenen auszurichten.[1]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 154. Für den Strafvollzug in Form der Freiheitsstrafe gilt dies besonders, da die individuelle Lebensführung weitgehend durch die staatliche Gewalt bestimmt wird. Den Gefangenen sollen die Fähigkeit und der Wille zu eigenverantwortlicher Lebensführung vermittelt werden, um zu ermöglichen, dass die Gefangenen sich in Zukunft unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch behaupten können.[2]Ibid., Rn. 155.

Vernetztes Lernen: Welche anderen Ausprägungen kennt das allgemeine Persönlichkeitsrecht?
In der Rechtsprechung des BVerfG kommt dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht vor allem deswegen eine wachsende Bedeutung zu, da es die Lücken schließt, die sich aus neuartigen Gefährdungslagen im Gefolge wissenschaftlich-technischen Fortschritts und gewandelter Lebensverhältnisse ergeben.[3]Martini, JA 2009, 839 (840). Manche Teilen die Rechte in verschiedene Kategorien wie Selbstdarstellung, Selbstbestimmung und Selbstdarstellung ein.[4]Ibid., 841. Dies kann bei der Einordnung in der Falllösung helfen, ist aber nicht zwingend notwendig. Häufige Klausurkonstellationen umfassen:
– Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung[5]Siehe dazu auch genauer zur äußerungsrechtlichen Ausprägung: https://examensgerecht.de/recht-auf-vergessen-i-ii/.
– Das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme, das sog. Computergrundrecht
– Das Recht auf Selbstdarstellung (Recht am eigenen Bild, Wort und Namen),
– Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung
– Das Recht auf Schutz der persönlichen Identität, z.B. geschlechtliche Identität
– Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben
– Schutz der engeren Privats- und Intimsphäre, z.B. engeres Familienleben und Tagebücher

2. Eingriff

Ferner bedarf es eines Eingriffs. Ein Eingriff ist jede Verkürzung des grundrechtlichen Schutzniveaus. A wird durch die Entscheidung und die damit einhergehende Aufrechterhaltung der Minimalvergütung in B in seiner individuellen Lebensführung beschränkt, was sich mit Blick auf etwaige Schulden auch auf seine zukünftigen Resozialisierungschancen auswirkt. Damit liegt ein Eingriff in das APR vor.

3. Rechtfertigung 

Diese Eingriffe könnten aber gerechtfertigt sein, sofern eine verfassungsrechtliche Schranke besteht, die Regelung in B eine verfassungskonforme Konkretisierung dieser darstellt und die Einzelanwendung verfassungskonform ist.

a) Schranke

Es müsste eine verfassungsrechtliche Einschränkungsmöglichkeit bestehen. Für Art. 2 I GG gilt der einfache Gesetzesvorbehalt aus Hs. 2, der mit der verfassungsmäßigen Ordnung alle verfassungskonform zustande gekommenen Gesetze umfasst. Diese Schranke wird auch für das allgemeine Persönlichkeitsrecht herangezogen.[6]Manssen, Staatsrecht II, 18. Aufl. 2021, § 11 Rn. 295. Als parlamentarisches Gesetz erfüllt die Regelung in B diese Voraussetzungen, sofern es formell und materiell verfassungskonform ist.

b) Schranken-Schranke
aa) Formelle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage

Das Land B müsste zuständig sein und alle Verfahrens- und Formvorschriften eingehalten haben. Dem Bund kommt in Bezug auf den Strafvollzug seit der Föderalismusreform ausdrücklich keine ausschließliche oder konkurrierende Kompetenz in den Art. 70 II, 71 ff. GG zu, sodass diese den Ländern nach Art. 70 I GG zugewiesen ist. Anders verhält es sich aber mit Blick auf die Strafvollstreckung. Diese wird von Art. 74 I Nr. 1 GG erfasst. In Abgrenzung umfasst der Strafvollzug die Ausführung der Anordnungen der Strafvollstreckungsbehörden durch die Strafvollzugsbehörden.[7]Seiler, in: BeckOK GG, 57. Ed. (2024), Art. 74 Rn. 5. Während die arbeitsrechtliche Ausgestaltung der Löhne im Rahmen der Strafvollstreckung klar dem Vollzug zuzuordnen ist, ist dies mit Blick auf die potentielle Verkürzung der Freiheitsstrafe durch abgeleistete Arbeit diskussionswürdig.[8]Kritisch: Frammersberger/Kühne, NStZ 2022, 522. Die Strafvollstreckung und damit auch die Bemessung der Freiheitsstrafe steht grundsätzlich den Gerichten zu. Jedoch werden durch das Gesetz lediglich, unter bestimmtem Voraussetzungen, acht Freistellungstage gewährt. Der Gesamtzusammenhang der Vorschrift in ihrer derzeitigen Ausgestaltung betrifft daher im Schwerpunkt den Strafvollzug und nicht die Strafvollstreckung und fällt somit in die Gesetzgebungskompetenz der Länder.[9]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 151. Eine Zuständigkeit des Landes B ist daher zu bejahen. Es bestehen ferner keine weiteren Bedenken bzgl. der formellen Verfassungsmäßigkeit. 

bb) Materielle Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlage

Fraglich ist aber, ob das Gesetz materiell verfassungskonform ist, also insbesondere die Anforderungen der Verhältnismäßigkeit wahrt. 

(1) Legitimes Ziel

Die Regelung müsste ein legitimes, d.h. ein nicht verfassungswidriges, Ziel verfolgen. Die Regelung in B beabsichtigt einen Ausgleich zwischen der Resozialisierung der Strafgefangenen und der wirtschaftlichen Tragfähigkeit dieses Vorhabens herzustellen. Ein solches Bestreben widerspricht grundsätzlich nicht der Verfassung. 

(2) Geeignetheit 

Die Maßnahme müsste auch geeignet sein, also die Erreichung des Ziels zumindest fördern. Die Regelung fördert durch die geringe Entlohnung zumindest die Konkurrenzfähigkeit der Betriebe und damit die Erhaltung der Arbeitsplätze als Ausprägung der Resozialisierung.

(3) Erforderlichkeit

Mildere, gleich geeignete Mittel sind nicht ersichtlich.

(4) Angemessenheit

Die Kontaktbeschränkungen müssten auch verhältnismäßig im engeren Sinne sein, sodass eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen ist. 

(a) Vergütungssituation in B

Grundsätzlich gilt, dass Arbeit nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel sein kann, wenn sie eine angemessene Anerkennung findet und insofern für die Gefangenen ein unmittelbarer Gegenwert erkennbar ist.[10]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 174; Muckel, JA 2024, 786 (787); Bachmann, Weckruf aus Karlsruhe: Verfassungswidrigkeit der Gefangenenvergütung – Zugleich Besprechung von BVerfG, Urt. v. … Continue reading Insofern ist zu Gunsten des A anzumerken, dass eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem von der JVA Erwirtschaftetem und der letztendlich an die Gefangenen ausgezahlten Entlohnung besteht. Dies wiegt in Anbetracht der gestiegenen Kosten, die sich auch in den Gefängnissen bemerkbar macht, besonders schwer. Der/die Gefangene hat keine Möglichkeit außerhalb der im Gefängnis bereitgestellten Möglichkeiten zu wirtschaften. Insbesondere wenn infolgedessen Schulden, wie z.B. entstandene Gerichtskosten, nicht abgetragen werden können, beeinträchtigt die niedrige Vergütung seine Möglichkeit zur Wiedereingliederung erheblich. Demgegenüber ist B zuzustimmen, dass die Konkurrenzfähigkeit der Gefängnisbetriebe gleichsam sichergestellt werden muss. Sofern Privatunternehmen in Folge höherer Kosten z.B. Aufträge ins Ausland verlagern, kann das Fehlen dieser Arbeitsplätze die Resozialisierungschancen der Gefangenen beeinträchtigen.

(b) Mögliche Anerkennungsmodalitäten und Resozialisierungskonzepte

Jedoch ist dem Argument von B zu entgegnen, dass es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, dass die Arbeit der Strafgefangenen allein durch ein Arbeitsentgelt anzuerkennen ist. Denn Arbeit dient – neben der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage – auch der Entfaltung der Persönlichkeit.[11]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 173. Auch auf dem freien Arbeitsmarkt werden neben dem Entgelt nicht-monetäre Gegenleistungen für die geleistete Arbeit vereinbart.[12]Ibid. So ist neben der Freistellung z.B. auch an einen (Teil)Erlass von Verfahrenskosten zu denken,[13]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 190. oder an die Förderung arbeitstherapeutischer Beschäftigung, Ausbildung und Weiterbildung, die den/die Gefangenen auf die Zeit nach der Haft vorbereiten.

Insofern kommt dem Gesetzgeber bei der Regelung der Resozialisierung ein weiter Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum zu, sodass das BVerfG die verfassungsrechtliche Überprüfung des Konzepts (lediglich) im Rahmen einer Vertretbarkeitskontrolle vornimmt.[14]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 195. Dies begründet sich vor allem durch die vielfältigen Abwägungen und Entscheidungen, die der Gesetzgeber treffen muss: So scheint es mit Blick auf das Anstaltsleben und die Entstehung von Subkulturen z.B. sinnvoll, eine Regelung zu finden, die zu große Einkommensunterschiede zwischen den Gefangenen vermeidet.[15]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 186. Gleichzeitig kann es förderlich sein, arbeitenden Gefangenen einen greifbaren Vorteil im Vergleich zu nicht arbeitenden Gefangenen (denen das Arbeiten möglich ist) zu bieten.[16]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 189. So muss der Gesetzgeber einen Ausgleich zwischen dem staatlichen Interesse an einer Kostendeckung und den wirtschaftlichen Interessen und finanziellen Möglichkeiten der Gefangenen herstellen.[17]Ibid. Letztendlich kann durch das BVerfG keine spezifische Höhe der Vergütung festgesetzt werde – dies fällt in den gesetzgeberischen Spielraum. 

Vielmehr ist der Gesetzgeber verpflichtet ein „in sich schlüssiges, am Stand der Wissenschaft ausgerichtetes Resozialisierungskonzept zu entwickeln und dieses mit hinreichend konkretisierten Regelungen des Strafvollzugs umzusetzen“.[18]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 162. Dieses Konzept muss entsprechend der Wesentlichkeitstheorie auch vom Gesetzgeber selbst und nicht z.B. von den JVAen entwickelt werden. Die Wesentlichkeitstheorie gebietet, dass alle wesentlichen Entscheidungen, also vor allem grundrechtserhebliche Entscheidungen, durch den legitimierten Gesetzgeber getroffen werden.[19]Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 18. Aufl. 2018, § 6 Rn. 65. Insofern kommt ihm insbesondere die Aufgabe zu, eine Gewichtung des monetären und des nicht monetären Teils der Vergütung selbst festzulegen und auch zu entscheiden, an welchen Zwecken der monetäre Teil der Vergütung auszurichten ist.[20]Klement, JuS 2024, 380 (382). Dieses Konzept muss ebenso kontinuierlich evaluiert und ggf. nachgebessert werden.

(c) Zwischenergebnis

Ein schlüssiges Resozialisierungskonzept, das den oben dargelegten Maßstäben gerecht wird, ist in der Regelung von B nicht ersichtlich. Vor allem weil es nicht sicherstellt, dass die Arbeit der Gefangenen genügend Anerkennung findet. Gerade in Angesicht des geringen Lohns, durch den nicht mal Schulden abgetragen werden können, kommt den Gefangenen kein wirklicher Gegenwert ihrer Arbeit zu. Gleichzeitig werden durch die Freistellung nur geringe, nicht-monetären Anreize vorgesehen, die nicht in der Lage sind das monetäre Defizit auszugleichen.[21]Vgl. BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 204 ff.. Somit ist das bisher bestehende Konzept unzureichend und muss nachgebessert werden.

cc) Zwischenergebnis

Die Regelung in B ist materiell verfassungswidrig, sodass der Eingriff in As APR nicht gerechtfertigt werden kann.

Anmerkung: Entwicklung der Rechtsprechung
Dies ist nicht die erste Entscheidung des BVerfG in Sachen „Gefangenenvergütung“. [22]Eingehend zu dieser Entwicklung: Bachmann, Weckruf aus Karlsruhe: Verfassungswidrigkeit der Gefangenenvergütung – Zugleich Besprechung von BVerfG, Urt. v. 20.6.2023 – 2 BvR 166/16, 1683/17, … Continue reading Bereits 1998 hatte das BVerfG dass eine Eckvergütung in Höhe von 5 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV (ca. 1,70 DM pro Stunde) für mit dem verfassungsrechtlich verankerten Resozialisierungsgebot unvereinbar gehalten. Als Konsequenz hatte das BVerfG dem Gesetzgeber aufgegeben, die Entlohnung der Gefangenenarbeit neu zu regeln. Seit 2001 erhalten die Gefangenen demnach eine Eckvergütung in Höhe von 9% statt 5% der Bemessungsgrundlage. Der Gesetzgeber hat auch von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nicht-monetäre Formen der Entlohnung einzuführen, wie vom BVerfG vorgeschlagen. Dies zeigt sich in der bereits umschriebenen „good time“-Regelung: Gefangene können unter bestimmten Voraussetzungen einen Werktag von der Arbeit freigestellt oder aus der Haft beurlaubt werden. Alternativ kann die Freistellung auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden. Diese Reform wurde vom Bundesverfassungsgericht als „noch verfassungsgemäß“ eingestuft.[23]BVerfG, NJW 2002, 2023, Rn. 30, 46.
c) Verfassungsmäßigkeit der Anwendung im Einzelfall

Hinsichtlich der Anwendung im Einzelfall ergeben sich keine anderen Erwägungen.

Anmerkung: Schwerpunktsetzung
Normalerweise liegt in der Anwendung im Einzelfall der Schwerpunkt der Prüfung. Hierzu gibt es jedoch keine weiteren Angaben – vielmehr konzentrieren sich die Erwägungen auf die Regelung an sich, die für alle Gefangenen gleichermaßen Anwendung findet. Daher kann hier die Prüfung ausnahmsweise kurz ausfallen.

II. Verletzung von Art. 12 II, III GG

Es könnte eine Verletzung von Art. 12 II, III GG vorliegen. Jedoch arbeitet A hier freiwillig in der Druckerei, sodass eine dahingehende Verletzung ausgeschlossen ist. 

Anmerkung: Relevanz der Berufsfreiheit
Art. 12 III GG war hier wegen der Freiwilligkeit der Tätigkeit nicht von Bedeutung. Sofern eine Fallkonstellation vorliegt in der der/die Gefangene aber unfreiwillig arbeitet, greifen die oben bereits angerissenen Maßstäbe ebenso. Denn das BVerfG verknüpft die Erwägungen unter dem APR und Art. 12 III GG: Eine nicht der Resozialisierung dienende Zwangsarbeit verstößt gegen Art. 12 III GG – und der Resozialisierung dient die Tätigkeit nur, wenn der/dem Gefangenen hierdurch der Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies Leben vor Augen geführt wird.[24]Klement, JA 2024, 380 (381). Insofern gelten die oben angestellten Erwägungen unabhängig davon, ob die Arbeit freiwillig oder unfreiwillig erfolgt.[25]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 167, 170, 194.
Vernetztes Lernen: Wieso sind Strafgefangene keine Arbeitnehmer i.S.d. des Mindestlohngesetzes?
Das Mindestlohngesetz (MiLoG) gilt gem. § 22 I MiLoG nur für Arbeitnehmer*innen. Nach der allgemeinen Definition ist Arbeitnehmer*in wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags weisungsabhängige Arbeit gegen Entgelt im Dienste eines anderen verrichtet.[26]Greiner, BeckOK Arbeitsrecht, 71. Edition, MiLoG §§ 22 Rn. 1. Für öffentlich-rechtliche Weisungsverhältnisse, wie z.B. für Strafgefangene gilt das MiLoG daher nicht.[27]OLG Hamburg, BeckRS 2015, 13543. Gleiches gilt z.B. auch für Menschen in Sicherheitsverwahrung und für Menschen mit Behinderung, die in sog. Behindertenwerkstätten arbeiten.[28]Kritisch zu Letzterem: Schumacher, JuWissBlog Nr. 67/2022 v. 29.11.2022.

III. Zwischenergebnis

Die Verfassungsbeschwerde ist mithin begründet.

C. Ergebnis

As Verfassungsbeschwerde hat Erfolg. 

Zusatzfragen

1. Was ist Sinn und Zweck der Strafe?
Strafen wird grundsätzlich als ein Übel verstanden, das als gerechter Ausgleich für eine rechtswidrige, schuldhafte und vom Gesetz mit Strafe bedrohte Handlung auferlegt wird und die öffentliche Missbilligung der Tat zum Ausdruck bringt.[29]BVerfG, NJW 2004, 739 (744). Mit dem Sinn und Zweck hinter diesem Strafen beschäftigen sich die Strafzwecktheorien, die in absolute und relative Theorien unterteilt werden können.

Die absolute Straftheorie geht von einem Vergeltungscharakter aus, frei nach dem Motto „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.[30]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 15. Auflage 2023, § 3 Rn. 14. Demgegenüber zielen die relativen Straftheorien auf den präventiven Zweck, also die künftige Verhütung von Straftaten, ab. Unterschieden kann dabei zwischen der Theorie der Generalprävention (die Allgemeinheit als Adressat) und der Theorie der Spezialprävention (Täter als Adressat).[31]Ibid., Rn. 15.

Sowohl die Generalprävention als auch die Spezialprävention haben negative und positive Aspekte:
• Negative Generalprävention: Abschreckung der Allgemeinheit
• Positiven Generalprävention: Erhaltung und Stärkung des Vertrauens der Allgemeinheit in den Bestand der Rechtsordnung.
• Negative Spezialprävention: Schutz der muss vor dem nicht besserungsfähigen Straftäter durch dessen Einsperren
• Positive Spezialprävention: Besserung des besserungsfähigen Straftäters, also Eingliederung in die Gesellschaft durch Resozialisierung
Da die einzelnen Theorien teils Kritik ausgesetzt sind und keine Straftheorie, für sich allein betrachtet, zu überzeugen vermag, ist die vermittelnde Vereinigungstheorien entstanden. Der Standpunkt der Rechtsprechung, der sich so auch in § 46 I 1 StGB wiederfindet, wird als „vergeltende Vereinigungstheorie“ bezeichnet. In anderen §§ des StGB werden aber auch andere Ansätze in den Vordergrund gestellt: so sind z.B. § 47 I StGB und § 56 I StGB klar im Lichte des Resozialisierungsgedanken zu lesen.

2. Das BVerfG hat die Regelungen im Originalfall nicht für nichtig, sondern für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt und dem Gesetzgeber eine Frist zur Neuregelung gesetzt. Darf es das und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
Grundsätzlich sieht § 95 III BVerfGG vor, dass im Fall einer erfolgreichen Rechtssatzverfassungsbeschwerde das Gesetz für nichtig erklärt werden soll. Das BVerfG kann aber Abhilfe schaffen, in dem es sich auf § 31 II 3 BVerfGG bezieht und das Gesetz nur als für mit dem Grundgesetz „unvereinbar“ erklärt.

In diesem Fall setzt das BVerfG eine Frist zur Neuregelung – bis zu diesem Zeitpunkt bleiben die Normen weiter anwendbar. Für diese Lösung gibt es zwei etablierte Fallgruppen:[32]Vgl. Muckel, JA 2023, 786 (788). Erstens, wenn die sofortige Ungültigkeit der betreffenden Regelung dem Schutz überragender Güter des Gemeinwohls oder grundrechtlich geschützter Belange des Betroffenen selbst oder Dritter die Grundlage entziehen würde, und eine Abwägung mit den betroffenen Grundrechten ergebe, dass der Eingriff für eine Übergangszeit hinzunehmen sei. Zweitens, wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten habe, um den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Der Senat scheint anzunehmen, dass beide Fallkonstellationen hier greifen, da er darauf verweist, dass die sofortige Unwirksamkeit der betreffenden Normen zu einem noch stärkeren Eingriff in das Recht auf Resozialisierung führen würde als ihre Fortgeltung, und dass der Gesetzgeber zudem einen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum in Bezug auf die zu treffende Neuregelung habe, die ihm verschiedene Regelungsmöglichkeiten eröffne.[33]Ibid.


Zusammenfassung

1. Aus Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG ergibt sich das Resozialisierungsverbot. Dieses verpflichtet den Gesetzgeber dazu, ein umfassendes, wirksames und in sich schlüssiges, am Stand der Wissenschaft ausgerichtetes Resozialisierungskonzept zu entwickeln.

2. Arbeit kann Teil dieses Resozialisierungskonzepts sein, um Gefangene auf ein selbstständiges Leben nach dem Vollzug vorzubereiten. Arbeit ist nur dann ein wirksames Mittel der Resozialisierung, wenn sie eine angemessene Anerkennung findet. Diese kann monetär oder nicht-monetär erfolgen.

[+]

Schreibe einen Kommentar